Zeitbilder 7/8, Schülerbuch

Die öffentlich in Wien hingerichteten Mitglieder der Widerstandsgruppe um Major Carl Szokoll: Major Carl Biedermann, Hauptmann Alfred Huth, Oberleutnant Rudolf Raschke. Foto, Wien, 8. 4. 1945. L Es ist nicht angebracht, diesen österreichischen Widerstand zu bagatellisieren. Vor den Sondergerichten (…) wurden etwa 17 000 Österreicher aus politischen Gründen angeklagt. Dazu kommen noch etwa 20 000–30 000 Häftlinge in Konzentrationslagern und mehrere hundert Fälle vor dem Berliner Volksgericht. Allein im Wiener Landesgericht wurden etwa 1 000 Personen hingerichtet, in ganz Österreich waren es etwa 1 300, wozu noch die vollzogenen kriegsgerichtlichen Todesurteile gegen österreichische Wehrmachtangehörige kommen. Noch nicht eindeutig geklärt ist die Zahl der in den Konzentrationslagern Umgekommenen – hier werden etwa 15 000 angegeben – und in Gestapogefängnissen Ermordeten – wofür die Zahl von nahezu 10 000 genannt wird (…). Unklar ist auch die Zahl der in den letzten Kriegstagen von fliegenden Standgerichten Erschossenen, doch beträgt sie sicher einige Tausend. (Jagschitz, Der österreichische Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime 1938–1945. In: Schneck/Srentenovic (Hg.): Zeitgeschichte als Auftrag politischer Bildung. Lehren aus der Vergangenheit, 1978, S. 69 f.) Fragen und Arbeitsaufträge 1. Fasse die verschiedenen Formen des Widerstandes zusammen und führe dafür konkrete Beispiele an. 2. Nimm Stellung zur Aussage des Historikers Jagschitz über den österreichischen Widerstand. Begründe deine Position. QSein Stimmzettel verschwand, den Franz hielten die Dorfbewohner fortan für nicht ganz normal, und als er sich 1943 auch noch weigerte, den Einberufungsbefehl an die Front zu befolgen, weil er Hitler für einen „Anti-Christen“ und dessen Krieg für einen „ungerechten Angriffskrieg“ hielt, lautete das Urteil im Dorf endgültig: Spinner, Glaubensfanatiker, Bibelforscher, Feigling. Dem Dorf-Urteil folgte bald das Todesurteil der Nationalsozialisten. (Sagmeister, Mein Mann wird ein Heiliger, 1991, S. 22) Bald wurde diese Rolle auf seine Angehörigen übertragen, wie die Witwe Jägerstätters (gest. 2013) erzählte: Q„Das Schwerste“, sagt sie, und der klare Blick ihrer Augen verschwimmt hinter Tränen, „war mit den Leuten (…).“ Mit den Leuten, die nur Hass und Verachtung übrig hatten für die Hinterbliebenen eines Kriegsdienstverweigerers und Feiglings. Manche Stalingradkämpfer denken auch heute noch so. Schreiben verbitterte Leserbriefe an die Kirchenzeitung, dass sie eine Heiligsprechung Jägerstätters als eine Beleidigung für alle Kriegsversehrten empfinden und dass sie aus der Kirche austreten werden. „Dass der Franz nach seinem Gewissen gehandelt hat, verstehens halt nicht (…).“ (Sagmeister, Mein Mann wird ein Heiliger, 1991, S. 23) Militärischer Widerstand Ab Juni 1944 kämpften Österreicher in der jugoslawischen Volksarmee Titos. Ihre Motive waren unterschiedlich. Geeint hat sie die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus. Da ihr Kampf auch vielen Menschen das Leben kostete, ist ihre Beurteilung bis heute umstritten. Anfang 1945 begannen auch in Österreich bewaffnete Widerstandsaktionen. Schwerpunkte waren Wien, Innsbruck, Teile der Steiermark sowie Südkärnten, wo vor allem Kärntner Slowenen Widerstand leisteten. Der Plan Major Szokolls, der schon beim gescheiterten Staatsstreich Stauffenbergs aktiv mitgewirkt hatte, in Wien die Macht zu übernehmen, wurde verraten. Er wollte die Stadt kampflos der Roten Armee übergeben. Dennoch konnte eine Belagerung verhindert werden. Ein hoher Offizier meldete im April 1945 an Hitler: QWien ist nicht zu halten, da der Widerstand derartig groß ist, dass er nicht zu brechen ist. Der Volkssturm ist in Wien nicht eingerückt. Ich glaube, man kann ihn auch gar nicht einberufen, weil er sofort auf die SS schießen würde. (Zit. nach: Görlich, Grundzüge der Geschichte der Habsburgermonarchie und Österreichs, 1970, S. 318) Noch immer wird da und dort die Meinung vertreten, der österreichische Widerstand wäre im Nachhinein „aufgebläht“ worden, um bei den Staatsvertragsverhandlungen eine bessere Position zu haben. Der Historiker Gerhard Jagschitz bewertet dies so: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg 79 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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