Die Arbeitsaufträge auf dieser Doppelseite unterstützen dich dabei, deine Historische Methodenkompetenz zu trainieren und weiterzuentwickeln. Du lernst, die Aussagen von Darstellungen der Vergangenheit (z. B. Fotos, journalistische Texte, Lexikon-Artikel, Dokumentationsbeiträge) und jene von wissenschaftlichen Texten einander gegenüberzustellen und zu vergleichen. Dabei sollen die unterschiedlichen Darstellungsweisen und Erkenntnisziele herausgearbeitet werden. Alle Materialien auf der Doppelseite behandeln den Wiener „Heldenplatz“, einen historischen, geschichtsträchtigen „Erinnerungsort“ in Wien im Bereich der Hofburg, der sich aus verschiedenen Perspektiven betrachten lässt: als Schauplatz des „Anschlusses“ im März 1938, als Symbol der österreichischen Zeitgeschichte und seiner jeweiligen Vereinnahmung und als „Repräsentations- und Versammlungsort“ mit einer speziellen räumlichen Ausgestaltung. Foto des Heldenplatzes am 15. März 1938, aufgenommen vom Balkon der Neuen Hofburg aus: Adolf Hitler am Balkon der Hofburg am Wiener Heldenplatz. Foto, 15. 3. 1938. „Als Führer und Kanzler der Deutschen Nation des Reiches melde ich vor der deutschen Geschichte nunmehr den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich.“ Hugo Portisch, Österreich II, 1986: (…) Der Heldenplatz fasst rund 250.000 Menschen. An diesem 15. März 1938 ist er gesteckt voll. Das vermittelt der Welt den Eindruck, als wären alle Österreicher dagewesen und hätten Hitler zugejubelt. Wir haben mit einer Reihe von Menschen gesprochen, die damals auf dem Heldenplatz waren, haben sie danach gefragt, weshalb sie hingegangen sind. Die Antworten waren verschieden. Für die einen war es „ein historischer Augenblick“, bei dem sie dabei sein wollten. Durchaus mit positiven Gefühlen: Der Traum von der Wiederherstellung des großen Reiches Deutscher Nation wurde für sie in diesem Moment wahr. Andere jubelten, weil sie vom Anschluss M1 M2 6. Nationen und ihre Symbole: Der Wiener Heldenplatz das Ende der wirtschaftlichen Not erwarteten. Viele hofften, dass die neue Volksgemeinschaft die innere Entzweiung Österreichs beenden würde. Aber, und das war für uns neu, für nicht wenige der damals auf dem Heldenplatz Anwesenden war die Teilnahme Pflicht: Belegschaften großer Betriebe wurden geschlossen auf den Platz geführt, so auch die Eisenbahner aus den Bahnhöfen, die Straßenbahner aus den Remisen. Wir trafen auch auf eine Teilnehmerin an dieser Kundgebung, die damals Angestellte in einem jüdischen Geschäft auf der Mariahilfer Straße war; die Belegschaft des Geschäfts war energisch aufgefordert worden, an der Kundgebung teilzunehmen: „Und wir trugen auch die Firmentafel vor uns her“, berichtet sie. Damit soll nicht bezweifelt werden, dass der Anschluss von einer großen Zahl von Menschen begrüßt und Hitler von Hunderttausenden in Wien und in anderen österreichischen Städten umjubelt wurde. Details wie diese zeigen nur, dass generelle Urteile und Pauschaleinschätzungen immer falsch sind und sich nach dem Augenschein allein kaum etwas hundertprozentig beweisen lässt. (…) (Portisch, Österreich II. Der lange Weg zur Freiheit. 1986, S. 141) Gerhard Botz, Historiker, „Die Befreiungskundgebung auf dem Heldenplatz“: „Die beispiellose Huldigung der Wiener Bevölkerung“, die nach dem Urteil „reichsdeutscher“ und nationalsozialistischer Beobachter Hitler in einem Maße zuteilwurden, „wie sie kaum bisher einem Kaiser und König in dieser Stadt zuteilgeworden sind“, erreichten ihren Höhepunkt am 15. März 1938. Bedenkt man die Unkontrollierbarkeit und Subjektivität solcher und ähnlicher Feststellungen, so wird man als historischer Betrachter gut daran tun, die für die Sprache des Nationalsozialismus so typischen Superlative einzuschränken. Es bleibt immer noch die nach 40 Jahren schwer verständliche Begeisterung von etwa 250.000 der insgesamt über 1,8 Millionen Wiener. Viele in der Masse befanden sich zweifellos in einem echten Freudentaumel über den „Anschluß“, der nun, nach kaum 20 Jahren prekärer Existenz in einem Kleinstaat, die nationale Sehnsucht nicht nur der Deutschnationalen erfüllte. Viele, die das politische Geschehen sonst gleichgültig ließ, waren nur deswegen gekommen, weil sie den Führer, von dem man so viel sprach und vor dem alles kapituliert hatte, bloß sehen, leibhaftig vor sich haben wollten. Viele wieder waren erschienen, weil ihr Betrieb, Büro, Verein geschlossen ausmarschiert war und sie den gefährlichen Unwillen, der sich überall als die tatsächlichen Herren zeigenden kleinen und größeren Funktionäre der siegreichen Partei nicht auf sich ziehen wollten, indem sie sich ausnahmen. Einmal an Ort und Stelle, wurden alle wohl ohne Ausnahme von dem Massenerlebnis erfaßt. (Botz, Wien vom „Anschluß“ zum Krieg, 1978, S. 73) M3 292 Kompetenztraining Historische Methodenkompetenz Die Aussagen der Darstellung der Vergangenheit mit den Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft (Fachtexte) vergleichen Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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