Doch liegen in der Art der Formulierung auch Tücken. In A und B sind die fünf Antwortkategorien unterschiedlich formuliert. Das Wort „ziemlich“ (A, Stufe 4), mit dem sich sehr viele eingeschätzt haben, scheint weniger klar und eindeutig als „stark“ (B, Stufe 4). Ähnlich uneindeutiger dürften „weniger“ (2) und „mittel“ (3) (Erhebung B) gegenüber „recht wenig“ (2) und „etwas“ (3) (Erhebung A) verstanden werden. Das legen die Antworthäufigkeiten nahe. Rating-Skalen als „Ziffernskalen“: Um inhaltlich angereicherte Formulierungen bei den Antwortkategorien zu vermeiden, werden häufig rein ziffernmäßige Kategorien verwendet und nur die Endpunkte verbal konkretisiert, wie Befragung C veranschaulicht (Skala von 0 = gar nicht bis 6 = sehr stark; vgl. neue praxis 2/2017, S. 159). Befragung C: 213 Studierende, Frage: „Wie stark interessieren Sie sich für das allgemeine politische Geschehen?“ 0 1 2 3 4 5 6 2,8 % 8,0 % 10,3 % 23,0 % 26,8 % 21,1 % 8,0 % 0 = gar nicht; 6 = sehr stark Mittels einer Ziffernskala werden zwar verbale, also möglicherweise beeinflussende Vorgaben in den Antwortkategorien vermieden. Doch es wird – mehr als bisher – unterstellt, dass die Abstände (Intervalle) zwischen den einzelnen Ziffern jeweils gleich groß seien. Diese Intervalle bleiben jedoch – wie in den anderen Skalen – letztlich wieder von der Einschätzung der Befragten abhängig. Trotzdem ist es nicht unüblich, diese Abstände als jeweils gleich anzunehmen, sie dementsprechend als Intervallskalen zu betrachten und somit Mittelwerte zu berechnen. Ein solches Vorgehen wäre nach diesem Muster auch bei den vorhergehenden Beispielen möglich, wenn die verbalen Ausprägungen in Ziffern übergeführt werden. Datenerhebung: Festlegung der Grundgesamtheit In nahezu sämtlichen sozialwissenschaftlichen Studien werden Stichproben untersucht. Diese werden jeweils als Zufallsauswahl aus einer vorher definierten Grundgesamtheit gezogen. Dabei wird angenommen, dass die Stichprobe eine Zufallsstichprobe darstellt, dass also die Befragten zufällig, d. h. ohne systematische Beeinflussung aus der Grundgesamtheit ausgewählt werden. Dementsprechend lässt sich dann aus den Ergebnissen der Zufallsstichprobe auf die Grundgesamtheit rückschließen. In den in M2 und M3 vorgestellten Beispielen wurden Stichproben von Studierenden aus dem Fachbereich „Sozialwesen“ befragt und die Ergebnisse verschiedener Hochschulstandorte (A, B, C) verglichen. Daraus kann dann auf das politische Interesse aller Studierenden im Sozialwesen in diesen Hochschulstandorten geschlossen werden. M3 M4 Ein weiteres Beispiel soll zeigen, dass es zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen und Interpretationen führen kann, je nachdem, was man als Grundgesamtheit festlegt: Seit Jahren wird von der OECD in ihren Mitgliedsländern die „Bildungsmobilität“ („Bildungsaufstieg“) untersucht. Es geht um den Prozentsatz jener „jungen“ Menschen (30- bis 44- Jährige) („Bildungsaufsteiger“), die selbst zwar einen akademischen Studienabschluss erreicht haben, deren beide Eltern aber über keinen akademischen Abschluss verfügen. Grundgesamtheit, Variante 1: Als Grundgesamtheit werden in diesem Fall alle 30-bis 44-Jährigen mit Eltern ohne akademischen Abschluss in den einzelnen Ländern herangezogen. Daraus werden alle „Jungen“, also alle 30-bis 44-Jährigen, mit einem akademischen Abschluss herausgefiltert. Diese Vorgangsweise führt zu folgendem Ergebnis: Bei den 30- bis 44-Jährigen aus Österreich erzielen nur 16 Prozent von Eltern ohne akademischen Abschluss selbst einen akademischen Abschluss. Im Durchschnitt aller OECD-Länder sind es doppelt so viele (32 Prozent) (vgl. OECD 2017, S. 95/96). Daraus folgern einige Bildungsforscherinnen und Bildungsforscher: Österreich erreiche bei den „Bildungsaufsteigern“ (beide Eltern ohne akademischen Abschluss) den letzten Platz. Grundgesamtheit, Variante 2: Man könnte als Grundgesamtheit aber auch nur diejenigen 33- bis 44-Jährigen festlegen, die einen akademischen Abschluss aufweisen. Dann erhebt man daraus den Anteil derer, bei denen ihre beiden Eltern keinen akademischen Abschluss aufweisen. Nun ergibt sich allerdings ein anderes Bild: 63 Prozent der 30- bis 44-Jährigen mit einem akademischen Abschluss haben Eltern ohne einen solchen, sind also „Bildungsaufsteiger“. In Deutschland sind es bei einer solchen Betrachtungsweise 43 Prozent, in Schweden 44 Prozent, in den USA 38 Prozent. Österreich befindet sich nach dieser Form der Analyse im oberen Mittelfeld der OECD-Länder (vgl. Wolfgang Fellner, Die Legende von der vererbten Bildung. In: Der Standard, 20. 9. 2017, S. 31). Fragen und Arbeitsaufträge 1. Interpretiere die in der Tabelle M1 dargestellten Ergebnisse der Befragung „Politisches Interesse nach Altersgruppen“. 2. Zeige anhand der Beispiele in M1, M2 und M3 auf, wie die einzelnen Messskalen aufgebaut sind. Erläutere im Vergleich der Skalen mögliche Probleme hinsichtlich der damit gewonnenen Aussagen. 3. Vergleiche in M4 die Varianten 1 und 2 bezüglich der Festlegung der Grundgesamtheit der „Bildungsaufsteiger“. Halte die jeweils unterschiedlichen Kriterien fest. Nimm Stellung zu den daraus abgeleiteten Konsequenzen für die bildungspolitische Diskussion. 4. Projektvorschlag: Bildet drei Arbeitsgruppen. Entscheidet euch in der jeweiligen Gruppe für eine der drei vorgegebenen Varianten von Messskalen. Führt mit jeder Gruppe eine Stichprobenerhebung (z. B. an der Schule, im Freundeskreis) über politische Mitbestimmung durch. Interpretiert eure Ergebnisse. Vergleicht sie und erklärt möglicherweise erkennbare Unterschiede. Politische und rechtliche Systeme 205 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=