Der Politikwissenschafter Heinz Gärtner sieht die österreichische Neutralität(-spolitik) positiv: Die österreichische Neutralität (…) war immer in der Lage, ein Gleichgewicht zwischen Heraushalten und Einmischen zu finden. Österreich ist nicht Mitglied eines Militärbündnisses (…). Österreich beteiligt sich nicht an fremden Kriegen. Friedensmissionen sollen unter der Oberhoheit der Vereinten Nationen stehen. Der Kalte Krieg war gekennzeichnet durch Blockbildung, Neutralität war die Ausnahme (…). Aktiv war Österreich in seiner Neutralitätspolitik. Bundeskanzler Bruno Kreisky nutzte diese Stellung für globale Aktivitäten. Internationale Organisationen siedelten sich in Wien an, Gipfeltreffen fanden statt. Nach dem Ende des Kalten Krieges ergibt sich für Österreich die Chance einer engagierten Neutralitätspolitik. Bei internationalen Friedensoperationen des Bundesheeres kann Österreich glaubhaft demonstrieren, dass es nicht im Interesse eines Bündnisses oder einer Großmacht handelt. (…) Wenn sich Österreich bei einer Mission zum Schutz von Zivilisten beteiligt, wie in verschiedenen afrikanischen Ländern, geht es nicht um Öl oder Stützpunkte. (…) Engagierte Neutralität ermöglicht es auch, im Abrüstungs- und Nichtverbreitungsbereich deutliche Akzente zu setzen. Der wohl größte Erfolg der österreichischen Außenpolitik war das „Wiener Abkommen“ über das iranische Nuklearprogramm am 14. Juli 2015. Wien wurde von sechs Weltmächten und dem Iran als Verhandlungsort akzeptiert. (…) Österreichs engagierte Neutralität (…) bietet für Politiker eine Plattform, die für internationale Aktivitäten genützt werden kann. So etwas darf nicht leichtsinnig aufgegeben werden (…). Engagierte Neutralität bedeutet nicht Heraushalten, wo möglich, und Einmischen, wo nötig, sondern umgekehrt: Einmischen, wo möglich, und Heraushalten nur, wo nötig. (Gärtner, Frage des Tages, 26. 10. 2015. Online auf: http://www.kleinezeitung.at/politik/innenpolitik/4851855/Frage-des-Tages_Hat-unsere-Neutralitaet-ausgedient, 9. 4. 2018) Der Völker- und Europarechtler Hubert Isak über die (Un-)Vereinbarkeit von österreichischer Neutralität und EU-Verteidigungsunion: Es ist richtig, dass es dem neutralen Österreich (…) verfassungsrechtlich erlaubt ist, sich an [EU-] Missionen zu beteiligen. Diese Missionen (…) umfassen u. a. auch (…) „Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen“ (…). Festzuhalten ist auch, dass solche Maßnahmen (…) nicht als neutralitätsrechtlich relevanter „Krieg“ im Sinne des Völkerrechts qualifiziert werden (…). (…) Der verfassungsrechtlichen Absicherung entspricht auf Unionsebene die (…) sog. „Irische Klausel“(…). [Sie bestimmt] klar, dass ein neutraler Mitgliedstaat (…) nicht zur Mitwirkung an einer Maßnahme verpflichtet werden kann, die zu einem Konflikt mit rechtlichen Verpflichtungen aus der Neutralität führen würde. M5 M6 Die bisherige (…) Analyse klammert allerdings zwei meines Erachtens wesentliche Aspekte aus: Zum einen „umfasst“ die GSVP [= gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik] auch die „schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik“ (…). Die Teilnahme Österreichs an einer gemeinsamen Verteidigung würde man aber (…) wohl kaum anders denn als (unzulässigen) Beitritt zu einem „militärischen Bündnis“ im Sinne des Neutralitätsgesetzes interpretieren können. Zum anderen muss daran erinnert werden, dass der österreichische Neutralitätsstatus zwar auf einer Entscheidung des souveränen Staates beruht (…), aber in seinem Kern handelt es sich um einen im Völkerrecht (insb. der Haager Landkriegsordnung [von 1907] (…) geregelten Status. Welche Rechte und Pflichten ein neutraler Staat hat, unterliegt daher der Auslegung dieses Rechts (…) durch die gesamte Staatengemeinschaft! Das ist auch logisch: Ein Drittstaat wird (und muss) die Neutralität eines Staates in einem Krieg nur dann respektieren, wenn er darauf vertrauen darf, dass der Neutrale im Konflikt nicht für den militärischen Gegner Partei ergreifen wird. (…) Die übliche Aussage „Was Neutralität bedeutet, bestimmen wir selbst!“ ist daher (…) falsch. (…) Österreich ist es gelungen, (…) dafür zu sorgen, dass die Mitwirkung des Landes an der GSVP bisher keine neutralitätsrechtlichen Probleme beschert hat. Für die künftige Entwicklung wird man allerdings nicht außer Acht lassen dürfen, dass schon im geltenden EU-Vertrag mit der „gemeinsamen Verteidigung“ ein deutlich „neutralitätssensibleres“ Ziel angelegt ist und dass eine allfällige Beteiligung Österreichs daran nicht nur die Frage der verfassungsrechtlichen Kompatibilität [= Verträglichkeit] neu stellen, sondern auch deren Völkerrechtskonformität [= Völkerrechtsübereinstimmung] eine Neubeurteilung erfordern würde. (Isak, Gemeinsame Verteidigung und Neutralität, 2017. Online auf: https://static.uni-graz.at/fileadmin/rewi-institute/Europarecht/Isak__Gemeinsame_Verteidigung_und_Neutralitaet_28.09.2017.pdf, 9. 9. 2018) Fragen und Arbeitsaufträge 1. Fasse mit Hilfe von M1 sowie Autorentext und Quellen auf S. 168 ff. die wesentlichen Merkmale des völkerrechtlichen Begriffs „Neutralität“ zusammen. 2. Analysiere mit Hilfe von M3, M5, M6 und dem Autorentext auf S. 168 ff., in welcher Weise sich die Ziele der österreichischen Neutralitätspolitik bis heute verändert haben. 3. Ermittle aus den (Grundsatz-)Programmen der im Parlament vertretenen Parteien (s. Homepages), wie sie zur österreichischen Neutralität stehen. 4. Kläre mit Hilfe der Informationen auf S. 181 und S. 213 die Bedeutung von „GSVP“ (Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik) und „GASP“ (Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik). 5. Erkläre mit Hilfe von M3 und M6 die möglichen verfassungsrechtlichen Probleme im Zusammenhang mit der GASP und nimm Stellung dazu. 6. Bewerte die Pro- und Kontra-Stellungnahmen zur Neutralität (M4, M5). Österreich II – die Zweite Republik 179 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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