Zeitbilder 7/8, Schülerbuch

enthielt Bestimmungen über die Ablöse für die sowjetischen Unternehmungen in Österreich (u. a. 150 Millionen Dollar in Waren, 2 Millionen Dollar in bar für die Donaudampfschifffahrtsgesellschaft und 10 Millionen Tonnen Erdöl für die Ölfelder und Raffinerien). Daneben enthielt es auch ein politisches Tauschgeschäft: ––Die Sowjetunion versprach den Abschluss des Staatsvertrages und den Abzug der Truppen aus Österreich. ––Österreich versprach, immerwährend eine Neutralität zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wurde. Nachdem der österreichische Nationalrat diese Abmachungen anerkannt und auch die westlichen Besatzungsmächte zugestimmt hatten, wurde der Vertrag im Mai 1955 in Wien unterzeichnet. Das Ziel war erreicht. Außenminister Figl hat es nach seiner Unterschrift im Schloss Belvedere ausgedrückt: „Österreich ist frei!“ Staatsvertrag und „immerwährende Neutralität“ L Im Staatsvertrag ist von der Neutralität nicht die Rede. Der Zusammenhang zwischen Staatsvertrag und Neutralität ist ein historisch-politischer – mit Blick auf Moskau –, kein rechtlicher. In Artikel 1 heißt es, daß „Österreich als ein souveräner, unabhängiger und demokratischer Staat wiederhergestellt“ sei; in Artikel 2 wurde die Wahrung der Unabhängigkeit Österreichs durch die Alliierten und Assoziierten Mächte anerkannt; in Artikel 3 wurde die Anerkennung der Unabhängigkeit Österreichs durch Deutschland bestimmt; der Artikel 4 enthielt das Verbot des Anschlusses von Österreich an Deutschland; in Artikel 5 wurden die Grenzen von Österreich festgeschrieben; in Artikel 6 verpflichtete sich Österreich, die Menschenrechte umfassend einzuhalten; in Artikel 7 wurden die slowenischen und kroatischen Minderheitenrechte festgelegt. (Steininger, 15. Mai 1955: Der Staatsvertrag, 1997, S. 238 f.) Die Neutralität Österreichs ist nicht im Staatsvertrag festgeschrieben. Die Neutralitätserklärung, obwohl Vorbedingung der Sowjetunion für den Staatsvertrag, sollte von Österreich freiwillig erfolgen, d. h. erst nach Abzug der Besatzungsmächte. Am 26. Oktober 1955 beschloss daher der Nationalrat einstimmig das Bundes-Verfassungsgesetz über die Neutralität der Republik Österreich: Q (1) Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen. (2) Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen. (Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Jahrgang 1955, 57. Stück, 211) Das Völkerrecht unterscheidet zwischen einer „temporären“, also in einer bestimmten Konfliktsituation zeitlich begrenzten, und einer „dauernden“ Neutralität. Diese beinhaltet besondere Verpflichtungen: –– Das Verbot, einen Krieg zu beginnen. –– Das Verbot der Teilnahme an Kriegen zwischen dritten Staaten. –– Die Pflicht zur Erhaltung und Verteidigung der Unabhängigkeit, der territorialen Integrität und der Neutralität sowie zur Anschaffung der dazu notwendigen Mittel. –– Die Pflicht, jedes Verhalten zu vermeiden, das einen Staat in der Zukunft vielleicht in Konflikt mit seinen Neutralitätspflichten bringen könnte. „Westintegration“ trotz Neutralität Die wirtschaftliche und politische Anbindung Österreichs an die westlichen Alliierten war schon mit Beginn des Kalten Krieges deutlich: Wirtschaftlich besonders bedeutend war dabei die Einbeziehung Österreichs in den Marshallplan. Politisch bedeutend war sowohl die antikommunistische Haltung der beiden Großparteien als auch die einer großen Bevölkerungsmehrheit. So kommentierte Bundeskanzler Raab am 26.10.1955 das gerade beschlossene Neutralitätsgesetz im Nationalrat: Die Neutralität sei militärisch und nicht ideologisch zu verstehen, sie verpflichte den Staat, aber nicht die Staatsbürgerin oder den Staatsbürger. Dennoch blieben auch nach 1955 geheime Waffenlager des US-Geheimdienstes CIA und des britischen Ge- Erich Lessing, Nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages auf dem Balkon des Wiener Belvedere. Foto, 15. Mai 1955. Leopold Figl mit dem Staatsvertrag zwischen den Außenministern der Signatarstaaten (von links nach rechts) Pinay (Frankreich), Dulles (USA), Macmillan (Großbritannien) und Molotow (Sowjetunion). Österreich II – die Zweite Republik 169 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=