Zeitbilder 7/8, Schülerbuch

unter Berufung auf die Ideen von Locke zum ersten Mal in der Geschichte ein Menschenrechtskatalog verfasst: die „Virginia Bill of Rights“ (12. 6. 1776). In 16 Artikeln erhob sie die darin ausgeführten Rechte zu unveräußerlichen Menschenrechten: u. a. das Recht auf Leben, Freiheit und Eigentum, auf Versammlungs- und Pressefreiheit, auf Religionsfreiheit sowie den Anspruch auf Rechtsschutz und Wahlrecht. Sie bilden seither den Kern der Menschenrechte. Die Berufung auf die unveräußerlichen Rechte des Menschen bildete dann auch die Grundlage der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika vom 4. 7. 1776. Während der Französischen Revolution setzte die Nationalversammlung am 14. 7. 1789 einen Verfassungsausschuss ein. Nach langen Beratungen nahm die Nationalversammlung die „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ an. Die 17 Artikel wurden der 1791 angenommenen französischen Verfassung vorangestellt (siehe Tafelbild, S. 156). Den Frauen allerdings hatte die französische Menschenrechtserklärung wesentliche Rechte vorenthalten – so z. B. hatten (wie auch in Virginia) nur Männer das Wahlrecht. Die Schriftstellerin Olympe de Gouges stellte 1791 die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ der Deklaration von 1789 entgegen. Sie wurde 1793 wegen „Anmaßung“ und Verschwörung verurteilt und hingerichtet. Menschenrechte in der Verfassung sind Grundrechte Dem Beispiel, Menschenrechte in den Verfassungen zu verankern, folgten im 19. Jh. immer mehr Staaten. In Österreich geschah dies im Jahr 1867 mit dem „Staatsgrundgesetz“. Die Menschenrechte, welche der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern in der Verfassung garantiert, werden als Grundrechte bezeichnet. Sie sind vor Gericht einklagbar. Menschenrechte im Völkerrecht – ihre Durchsetzung In diesem bisherigen Verständnis war es der jeweilige Staat, welcher die Grundrechte seiner Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der Verfassung garantierte. Die Erfahrungen der systematischen Entrechtung, der rassischen Diskriminierung und der Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus führten zu einer entscheidend neuen Praxis: zum völkerrechtlichen Schutz der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen. Dies betont Bardo Fassbender, Professor für Völkerrecht: L Seither ist der einzelne Staat nicht mehr der einzige Garant der Grund- und Menschenrechte seiner Angehörigen. Vielmehr wurde die völkerrechtliche Rechtsordnung zum Anwalt des Individuums gegenüber den Staaten (und insbesondere dem jeweiligen Heimatstaat) erhoben. Die UN-Charta hat das Völkerrecht tiefgreifend verändert und auf die Interessen des Individuums hin ausgerichtet. (Fassbender, Quellen zur Geschichte der Menschenrechte, 2014, S. 132 f.) Das Bekenntnis zur AEMR von 1948 bestimmte auch die „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ 1975 in Helsinki. Zum Schutz und zur weltweiten Förderung der Menschenrechte wurde allerdings erst im Rahmen der „Wiener Erklärung“ im Jahr 1993, in der entspannten Atmosphäre nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes, die Stelle eines „Hohen Kommissars für Flüchtlinge“ (UNHCR) geschaffen. L Für ein solches Amt engagierten sich neben vielen westlichen Staaten vor allem eine Reihe von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), insbesondere Amnesty International. (…) Vor allem NGOs sind es auch, die mit Hilfe ihrer nationalen und internationalen Netzwerke Menschenrechtsverletzungen ans Licht der Öffentlichkeit bringen, den Opfern Hilfe leisten und in ihren Herkunftsländern jene kritische Öffentlichkeit erzeugen helfen, die Regierungen auch dann zum Handeln zwingt, wenn sie es aus politischem und wirtschaftlichem Opportunismus vorziehen würden, zu schweigen. (Opitz, Menschenrechte und internationaler Menschenrechtsschutz, 2002, S. 174 und S. 225) Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) Die Vereinten Nationen müssen bei der Suche nach Lösungen immer weltweite Perspektiven im Auge behalten. Daher ist es bei der Formulierung von so grundsätzlichen Rechten wie den Menschenrechten nötig, unterschiedliche Interessen zu berücksichtigen und Kompromisse einzugehen. Deshalb sind manche Bestimmungen sehr allgemein gehalten und erlauben mehrere Deutungen. In diesem Sinne verabschiedeten 13 Staaten Westeuropas und die Türkei im Jahr 1950 die „Europäische Menschenrechtskonvention“ (EMRK). Sie trat 1953 in Kraft. Um die Durchsetzung der in 59 Artikeln formulierten Grund- und Freiheitsrechte zu gewährleisten, wurde nach Vorgängereinrichtungen schließlich im Jahr 1998 der „Europäische Gerichtshof für Menschenrechte“ (EGMR) in Straßburg geschaffen. Dieses Gericht kann von Einzelpersonen und NGOs nach Ausschöpfung der nationalen Rechtsmittel angerufen werden. Seine Urteile über Beschwerden gegen Menschenrechtsverletzungen sind für die Mitgliedstaaten bindend. Sie führten in zahlreichen Ländern immer wieder zu Gesetzesänderungen. So verbot z.B. Großbritannien die Prügelstrafe in Schulen; Österreich änderte seine Gesetze über die Behandlung von Strafgefangenen in Krankenanstalten usw. Weitere Menschenrechtskonventionen Neben der EMRK ist zunächst eine „Amerikanische Menschenrechtskonvention“ im Jahr 1978 in Kraft getreten. Doch am weltweiten Geltungsanspruch der Menschenrechte wird insofern Kritik geäußert, als diese vor allem die Werte der westlichen Welt zum Ausdruck bringen. Die Menschenrechte und ihre Entwicklung 157 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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