Zeitbilder 7/8, Schülerbuch

L Jeder kann bei uns so lange arbeiten, wie er will, wir brauchen keine Visa für unsere Leute aus dem Ausland. Regierungen und deren Vorschriften für die Arbeitswelt sind bedeutungslos geworden. Beschäftigt wird, wen man gerade braucht, der so lange arbeitet, wie er kann. Wir stellen unsere Leute per Computer ein, sie arbeiten am Computer und sie werden auch per Computer gefeuert. Mit unserer Effizienz konnten wir den Umsatz seit unserem Beginn vor dreizehn Jahren von null auf über sechs Mrd. Dollar hochjagen. (Martin/Schumann, Die Globalisierungsfalle, 1996, S. 11) Die zunehmende internationale Arbeitsteilung trägt dazu bei, die weltweite Wirtschaftsleistung zu steigern. Trotzdem nimmt in vielen Teilen der Welt die materielle Ungleichheit zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu. In der westlichen Welt etwa steigt das Lohnniveau der Beschäftigten nur mäßig, teilweise sinkt es sogar; die Gehälter des Managements und die Konzerngewinne hingegen steigen stark. Das Topmanagement von Konzernen steht unter dem Druck, für transnationale Aktionärinnen und Aktionäre maximale Gewinne erzielen zu müssen, da diese ihre Investitionen sonst zurückziehen könnten. Das neoliberale System zwingt sie auf diese Weise zum „Erfolg“. Soziale Überlegungen werden dabei teilweise als zweitrangig bewertet. Staatsausgaben kürzen, Löhne senken, Sozialausgaben streichen – die Reformprogramme im Zeichen der Globalisierung sind in vielen Industrieländern ähnlich. Die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind nicht globalisiert. Einen Globalisierungsprozess gibt es vor allem in Bezug auf Expertinnen und Experten. Das sind qualifizierte Arbeitskräfte z. B. aus den Bereichen Naturwissenschaften, Technik, Informations- und Kommunikationstechnologie, die überall auf der Welt besonders stark nachgefragt werden. Die Gewerkschaften setzen sich in vielen Ländern gegen Sozialabbau und Lohnkürzungen ein. Doch viele große Unternehmen drohen mit der Auslagerung der Produktionen in Länder mit niedrigeren Löhnen. „Diktatur des Weltmarktes“ – Gefahr für die Demokratie In den USA, in Indien, Japan und Europa beginnen die Gesellschaften sich zunehmend in eine Minderheit von Gewinnern und in eine Mehrheit von Verlierern zu spalten. Die Verteilung des durch Globalisierung gewonnenen Reichtums ist sehr ungleich. Nicht jeder verliert. Doch die Zahl der Verlierer übersteigt die Zahl der Gewinner beträchtlich – national und international. Viele fürchten als Rationalisierungsopfer (sinkende Löhne, Arbeitslosigkeit, Verlust des sozialen Standards) den sozialen Abstieg. Ihre Angst vor der Armut und dem sozialen Abstieg gefährdet den sozialen Frieden und möglicherweise in der Folge die Demokratie. Der KOF-Globalisierungsindex Als Maß für die Globalisierung der einzelnen Staaten wurde an der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich der KOF-Globalisierungsindex entwickelt. Er hat eine wirtschaftliche, eine soziale und eine politische Dimension. Seit den 1970er Jahren ist die Globalisierung in allen drei Bereichen gestiegen, besonders deutlich nach dem Ende des Kalten Krieges. 70 60 50 40 30 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 in Prozent KOF-Globalisierungsindex insgesamt Wirtschaftliche Globalisierung Soziale Globalisierung Politische Globalisierung Entwicklung der weltweiten Globalisierung Quelle: ETH Zurich, Konjunkturforschungsstelle. Online auf: https:// www.kof.ethz.ch/, 15. 9. 2017. Chancen und Risiken der Globalisierung Globalisierung bietet für die wirtschaftliche Entwicklung große Chancen: L Die Globalisierung verringert die Kosten der Bewegung von Gütern und Innovation von einem Ort zum anderen. Sie ermöglicht es, Güter dort zu erzeugen, wo die Produktion am effizientesten und kostengünstigsten zu bewerkstelligen ist (…). (Deaton, Der große Ausbruch 2017, S. 297) Seit dem Zusammenbruch der kommunistischen Zentralwirtschaft ab 1989 setzten sich parallel zur fortschreitenden Globalisierung zunehmend neoliberale Wirtschaftsvorstellungen durch: Der Staat solle sich als Unternehmer aus der Wirtschaft zurückzuziehen. Er solle nur unternehmensfreundliche Rahmenbedingungen vorgeben. Mögliche negative Folgen von solchen Maßnahmen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (z. B. Abwanderung von Produktionsbetrieben in Niedriglohnländer, Abbau von Sozialleistungen, Schwächung von Arbeitnehmervertretungen) seien für eine Maximierung der Gewinne und eine Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit in Kauf zu nehmen. Auf diese Weise sollen technologische Innovation und Produktivität generell gesteigert werden. Ein Topmanager der US-Computerfirma Sun Mikro-Systems äußerte sich auf einem internationalen Kongress 1995 folgendermaßen: Politische und soziale Welten nach 1945 137 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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