Jean Ziegler, UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung (2000–2008), über die „Rekolonisierung“ Afrikas: Das Land Grabbing der Spekulanten hat die gleichen sozialen Folgen wie das Land Grabbing durch die Geier des „Grünen Goldes“. Ob man es mit Libyern in Mali, Chinesen in Äthiopien, Saudis oder Franzosen in Senegal zu tun hat – dieser Ausverkauf des Bodens geht natürlich zu Lasten der einheimischen Bevölkerung – und oft genug, ohne dass sie vorher gefragt wurde. Ganze Familien werden von den natürlichen Ressourcen abgeschnitten und von ihrem Grund und Boden verjagt. Wenn die multinationalen Konzerne, die das Land in Besitz nehmen, nicht ihr eigenes Kontingent an Arbeitern haben, findet ein kleiner Teil der einheimischen Bevölkerung Arbeit, aber für einen Elendslohn und unter oft unmenschlichen Arbeitsbedingungen. Meist werden die Familien von ihrem angestammten Land vertrieben; ihre Gemüse- und Obstgärten sind bald verwüstet, weil das Versprechen auf eine gerechte Entschädigung reine Makulatur ist. Mit der Vertreibung der Kleinbauern wird die Ernährungssicherheit Tausender von Menschen gefährdet. (Ziegler, Wir lassen sie verhungern, 2012, S. 283) Fragen und Arbeitsaufträge 1. Analysiere die Quellenstelle M1 und die Darstellung M4 daraufhin, welche Wege zur Unabhängigkeit führen können. Arbeite die entsprechende Perspektive in M1 heraus und vergleiche sie mit der retrospektiven Darstellung in M4. 2. Lies die Quellenstelle M2 und die beiden Literaturstellen auf S. 106. Arbeite die Perspektiven Nehrus (M2) für Indien und für die Welt heraus. Vergleiche sie mit den in den beiden Literaturstellen auf S. 106 zum Ausdruck gebrachten Sichtweisen und erkläre die Unterschiede. 3. Ziehe die Arbeitsergebnisse aus A2 zu M2 heran. Vergleiche die darin zum Ausdruck gebrachten Perspektiven mit den retrospektiven Darstellungen in M3 und M5. Arbeite die Übereinstimmungen und Unterschiede in den retrospektiven Beurteilungen der Entkolonialisierung in M3 und M5 heraus. 4. Analysiere M6 und M7 hinsichtlich ihres Verständnisses der „Stellvertreterkriege“ in der Dritten Welt: Arbeite heraus, welche Perspektive der Bezeichnung „Stellvertreterkrieg“ zu Grunde liegt. Erläutere, wie die Historiker Walter und Wendt diese Sichtweise beurteilen. Versuche abschließend, die Stichhaltigkeit der beiden Perspektiven zu bewerten. 5. Formuliere ausgehend von M8 (Buchtitel und Textstelle) und den Informationen über Ziegler Vermutungen darüber, an wen Ziegler sich wendet. Gib wieder, welche Folgen des „Land Grabbing“ er aufzeigt. Versetze dich dann in die Rolle eines Großinvestors, der in Afrika fruchtbares Land gekauft hat und nun den Aktionären darüber berichtet. Verfasse in dieser Rolle eine kurze Darstellung über die Folgen des Landkaufs. Erkläre abschließend, welche Ursachen den Unterschieden zwischen der Darstellung Zieglers und jener des Investors wohl zu Grunde liegen. M8 Der Historiker Dierk Walter über den Begriff „Stellvertreterkrieg“: Das böse Wort „Stellvertreterkrieg“ zentriert viereinhalb Jahrzehnte Gewaltgeschichte der Welt auf die Konfrontation von USA und UdSSR – als seien die Kriegsparteien in der Dritten Welt nichts als Marionetten der Supermächte gewesen, mit Entwicklungshilfe bestochen, mit Waffenlieferungen und Militärberatern aufgerüstet und mit ideologischen Parolen aufgepeitscht. (…) Wahr daran ist, dass die beiden Blöcke ihre Energien tatsächlich ein Stück weit in die Dritte Welt verlagerten, als sich abzeichnete, dass der Konflikt in der direkten Konfrontation politisch und militärisch nicht zu entscheiden war. Bereits in den fünfziger Jahren begann die Sowjetunion „fortschrittliche“ Regime und antikoloniale Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt zu fördern, um die westliche Vorherrschaft zu untergraben. Die Vereinigten Staaten bemühten sich ihrerseits um die „Eindämmung“ der kommunistischen Ausdehnung in Übersee. (…) Viele der „heißen Kriege“ in der Dritten Welt waren zumindest bis 1975 primär Dekolonisationskonflikte. Sie resultierten aus einer Geschichte, die sehr viel älter ist als der Kalte Krieg – sie wurzelten im Zeitalter des Imperialismus. Viele „heiße Kriege“ waren aber auch schlicht regionale Machtkonflikte oder innerstaatliche Bürgerkriege, die genauso ohne den Kalten Krieg entstanden wären. (…) Der Kalte Krieg hat also die Mehrzahl der „heißen Kriege“ nicht ausgelöst. Er hat sie aber ideologisch überformt und durch politische und ideologische Einflussnahme, durch Waffenlieferungen, Militärberater und Wirtschaftshilfe intensiviert und in vielen Fällen verlängert. (Walter, Globale Fronten. In: ZEIT-Geschichte 3/2012, S. 52 f.) Der Historiker Reinhardt Wendt schreibt über die so genannten „Stellvertreterkriege“: Der Ost-West-Konflikt und heiße oder kalte Stellvertreterkriege, in denen nicht die USA und die Sowjetunion, sondern ihre jeweiligen Verbündeten aufeinander stießen, spielten nicht nur in Vietnam, sondern auch in Afrika eine wichtige Rolle. Beide Seiten suchten Partner, denen sie ökonomisch und militärisch zur Seite standen. Nicht immer traten dabei die Großmächte direkt in Erscheinung. Die USA schaltete westliche Verbündete (…) ein, und für die Sowjetunion agierten beispielsweise die DDR oder Kuba. Als Belgien den Kongo aufgab, setzten West und Ost alles daran, das Land nicht dem weltanschaulichen Rivalen zufallen zu lassen. Patrice Lumumba, erster Premierminister des Kongo, verlor zwischen diesen Fronten sein Leben, und aus den Wirren des Bürgerkriegs ging schließlich mit westlicher Unterstützung Mobuto Sese Seko als starker Mann hervor. (…) Die Befreiungsbewegungen, die sich in Angola, Mozambique und Guinea-Bissau Anfang der sechziger Jahre bildeten, erfreuten sich der Unterstützung der sozialistischen Staaten. (Wendt, Vom Kolonialismus zur Globalisierung, 2007, S. 324) M6 M7 Entkolonialisierung und Nord-Süd-Konflikt 125 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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