Zeitbilder 7/8, Schülerbuch

Die häufige Vermischung von historischen Tatsachen mit persönlichen Eindrücken und Wertungen macht es notwendig, Erzählungen und Berichte von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, das „Datenmaterial“ der Oral History-Forschung, genau zu analysieren. Die Ergebnisse lassen sich dann wiederum vergleichen mit den Beiträgen weiterer Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, mit fachlichen Darstellungen, wie sie etwa im Schulbuch, in wissenschaftlicher Literatur oder in Fachzeitschriften zu finden sind. Um zeitgeschichtliche Erinnerungen und Geschichtserzählungen, die in politischen Diskursen eingesetzt werden, besser nachvollziehbar zu machen, wird hier ein Projektvorschlag gemacht. Projektanregung – Oral History (OH) In einem ersten Schritt werden über die Erzählungen Daten „generiert“ (= hervorgebracht). Diese sind dann hinsichtlich sachlicher und wertender Aussagen zu analysieren. Ziel ist es herauszufiltern, welche subjektiven Eindrücke bestimmte Ereignisse bei den Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt hervorgerufen haben und welche Bedeutung und Tragweite diese ihnen dann für ihr eigenes Politikverständnis, für das eigene Leben und auch für das weitere gesellschaftliche Leben beimessen. Dem kann mit der Methode der OH nachgegangen werden. Oral History trägt dazu bei, ein erlebtes historisches Ereignis in seiner (unmittelbaren) Wirkung auf Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu erfassen. Sie liefert über Befragungen und angeregte Erzählungen („Narrative = erzählende Interviews“) von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen entsprechende Aussagen. Diese bilden die Daten für die Rekonstruktion des erlebten und interpretierten Ereignisses. Diese „persönlichen Zutaten“ der Erzählenden zum tatsächlichen Ereignis sollen durch eine auch für andere nachprüfbare (d. h. objektive) Methode herausgefiltert werden. Dabei soll deutlich gemacht werden, wie diese „persönlichen Zutaten“ sich in den aktuellen politischen Diskussionen wiederfinden. Dementsprechend sorgfältig sind also diese Daten zu erfassen und auszuwerten. Methode Oral history is both a subject and a methodology, a way of finding out more by careful, thoughtful interviewing and listening. (Howarth, Oral History, 1999, S. 4) Die Methode der OH ist mit Personen aller Altersgruppen und in Interviews zu aktuellen ebenso wie zu vergangenen politischen sowie historischen Ereignissen anwendbar. Die Informationen in diesem Kapitel dienen dazu, die Politikbezogene Methodenkompetenz weiterzuentwickeln. Am Beispiel der Methode „Oral History“ wird gezeigt, wie Datenerhebungen und dahinterliegende Fragestellungen nachvollzogen und untersucht werden können. Auf diese Weise sollen Sachaussagen und bewertende Aussagen besser unterscheidbar werden. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1990er Jahre war voll von Geschehnissen, die zum Teil weltpolitische Bedeutung erlangt haben. Beispiele dafür sind etwa die Kubakrise und die Berlinkrise in den 1960er Jahren, der Sturz der europäischen Volksdemokratien mit dem Abbau der Grenzzäune gegen Ungarn und die Tschechoslowakei 1989 oder der für viele überraschend gekommene Zerfall der Sowjetunion 1991. Aber auch regionale Krisen in benachbarten Ländern, wie die Kriege im zerfallenden Jugoslawien, in deren Gefolge zahlreiche Flüchtlinge nach Österreich kamen, sind vielen Menschen im Gedächtnis geblieben. Einige erinnern sich noch an die Ungarnkrise (1956), als innerhalb weniger Wochen etwa 180 000 bis 200 000 Menschen über die burgenländische Grenze nach Österreich kamen. Furchteinflößend in der Zeit des Kalten Krieges war immer wieder die Bedrohung durch Atomwaffen. Der Super-GAU im Atomkraftwerk Tschernobyl am 26. 4. 1986 machte die atomare Gefahr in einer neuen Form zur Realität. Besonders einprägsam waren schließlich auch die Anschläge vom 11. 9. 2001 mit der Zerstörung der Twin Towers des World Trade Centers in New York. Solche und ähnliche Ereignisse und deren Begleitumstände werden von vielen Menschen so einprägsam erlebt, dass sie sich sogar daran erinnern, was sie zum Zeitpunkt des Geschehens taten, wo sie sich damals befanden o. Ä. Doch diese Erinnerungen sind immer auch verknüpft mit persönlichen Gefühlen sowie subjektiven Wahrnehmungen und Interpretationen. Diese können bereichernd und ergänzend, aber auch verzerrend und verkürzend sein. Persönliche Gefühle und Interpretationen fließen oft auch in aktuelle politische Diskussionen ein, in denen Erlebtes aus der Vergangenheit thematisiert wird – entweder als Argumente für eine persönliche politische Meinung oder zu Vergleichszwecken. 2015 und 2016 wurden beispielsweise in den österreichischen Medien immer wieder Vergleiche zwischen den „Ungarnflüchtlingen“ von 1956 und den Flüchtlingsbewegungen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan oder aus afrikanischen Staaten gemacht. Der Super-GAU von Tschernobyl wird unter Bezugnahme auf die damaligen Ängste auch heute noch als Argument gegen den Ausbau der Atomkraft ins Treffen geführt. Die Berechtigung des Krieges gegen den Irak durch die USA und ihre Verbündeten im Gefolge von „Nine eleven“ ist nach wie vor auch unter Verweis auf die eigenen Eindrücke und das Wissen von damals höchst umstritten. 7. Erinnerungen, Erzählungen und politische Diskussionen 100 Kompetenztraining Politikbezogene Methodenkompetenz Erhebungen nachvollziehen, die im politischen Diskurs eingesetzt werden, und deren Daten analysieren Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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