Zeitbilder 6, Schulbuch

4. Frauenbewegung und Frauenrechte Geschichte der Frauenbewegung Ende des 18. Jh. wurden die Menschenrechte in Frank- reich und den USA öffentlich erklärt (vgl. S. 94 f., S. 90). Diese galten nur begrenzt auch für Frauen. So formulierte die französische Schriftstellerin Olympe de Gouges 1789 eine „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“. Sie legte sie der Nationalversammlung vor, diese lehnte sie aber ab. Olympe de Gouges wurde im Zuge der Schreckensherrschaft 1793 hingerichtet. Frauen blieben weiterhin rechtlich nicht gleichgestellt. Die so genannte „erste Frauenbewegung“ (vor dem 1. Weltkrieg) in Europa und den USA kämpfte vor al- lem für die Erlangung des Stimmrechts für Frauen und den Zugang zur höheren Bildung (vgl. Längsschnitt S. 52 ff.). Die „zweite Frauenbewegung“ (ab den 1960er Jahren) entstand im Zuge der Studenten- und Friedensbewe- gungen. Die unterschiedlichsten Frauengruppen setz- ten sich v. a. mit dem „Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren Körper“ und mit der „Befreiung der weibli- chen Sexualität“ auseinander. Weitere wichtige Themen waren die wirtschaftliche Si- tuation von Frauen, insbesondere Hausarbeit als unbe- zahlte Arbeit für Familie und Gesellschaft sowie die Unterbezahlung von Frauenarbeit. Obwohl etliche For- derungen bis heute nicht umgesetzt wurden, gibt es doch auch einige Ergebnisse: U. a. kam es in vielen Län- dern zu Reformen des Familien- und Eherechts, zur Ein- führung der „Fristenlösung“ (Frist, innerhalb der ein Schwangerschaftsabbruch straffrei ist), zu Quotenrege- lungen, um Frauen zu Führungspositionen zu verhelfen, und zu verbesserten Gesetzen zum Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen. Frauen in Entwicklungsländern und Diktaturen kämp- fen nach wie vor um grundsätzliche Bildungsmöglich- keiten, Teilhabe an der Öffentlichkeit und für mehr Si- cherheit. Die internationale Frauenbewegung heute versucht Frauenrechte als universell gültige Menschrechte trotz vieler Widerstände durchzusetzen. Wichtige Fortschritte in Sachen Frauenrechte bilden internationale Antidiskri- minierungsabkommen, die einklagbar sind, sowie auch das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Es ist das erste Gericht, das Vergewaltigung von Frauen im Krieg als Menschenrechtsverletzung bzw. als Verbrechen ge- gen die Menschlichkeit ahndet. „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ Am 14. September 1789 publizierte Olympe de Gouges ihre „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“: Die Rechte der Frau Mann, bist du fähig, gerecht zu sein? Es ist eine Frau, die dir diese Frage stellt, zumindest dieses Recht nimmst du ihr nicht. Sag mir, wer hat dir die unum- schränkte Herrschaft verliehen, mein Geschlecht zu unterdrücken? […] Absonderlich, verblendet, wissen- schaftlich aufgeblasen und degeneriert will er [der Mann] in diesem Jahrhundert der Aufklärung und des Scharfsinns in gröbster Unwissenheit als Despot über ein Geschlecht befehlen, das alle intellektuellen Fähigkeiten besitzt; […] Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin […] Präambel Die Mütter, Töchter, Schwestern, Repräsentantinnen der Nation, verlangen als Nationalversammlung ein- gesetzt zu werden. In Anbetracht, dass Unwissenheit, Versäumnis und Geringschätzung der Rechte der Frau die einzigen Gründe für die öffentlichen Miss- stände und die Verdorbenheit der Regierungen sind, haben sie beschlossen, in einer feierlichen Erklärung die natürlichen, unveräußerlichen und heiligen Rech- te der Frau darzulegen. […] Erster Artikel Die Frau wird frei geboren und bleibt dem Mann an Rechten gleich. […] II Der Zweck jeder politischen Vereinigung ist die Er- haltung der natürlichen und unantastbaren Rechte der Frau und des Mannes: Dies sind die Rechte auf Freiheit, Eigentum, Sicherheit und besonders auf Wi- derstand gegen Unterdrückung. […] VI Das Gesetz muss Ausdruck des Gemeinwillens sein; alle Bürgerinnen und Bürger müssen persönlich oder durch ihre Repräsentanten an der Gesetzgebung mit- wirken; es muss dasselbe für alle sein: Alle Bürgerin- nen und alle Bürger, die in seinen Augen gleich sind, müssen gleichermaßen entsprechend ihren Fähigkei- ten und ohne anderen Unterschied als den ihrer Tu- genden und Begabungen zu allen Würden, Stellen und öffentlichen Ämtern zugelassen sein. VII Für keine Frau gibt es eine Ausnahme; sie wird in dem vom Gesetz bestimmten Fall angeklagt, festge- nommen und inhaftiert. Die Frauen gehorchen wie die Männer diesem strengen Gesetz. […] X Wegen seiner, selbst fundamentalen, Meinungen braucht niemand etwas zu befürchten, die Frau hat das Recht auf das Schafott zu steigen; sie muss glei- chermaßen das Recht haben, ein Podium zu bestei- gen; unter der Voraussetzung, dass ihre Bekundun- gen nicht die durch das Gesetz festgelegte öffentliche Ordnung stören. […] XVI Jede Gesellschaft, in der die Gewährleistung der Rechte nicht sichergestellt und die Gewaltentren- nung nicht festgelegt ist, hat keine Verfassung; die Verfassung ist nichtig, wenn die Mehrheit der Indivi- duen, die die Nation ausmachen, an seiner Erstellung nicht mitgewirkt hat. […] (Olympe de Gouges, Les droits de la femme. Übersetzt v. Viktoria Frysak) 98 Politische Bildung Nur zu P üfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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