Zeitbilder 6, Schulbuch

Die Aufklärer gingen von der optimistischen Vorausset- zung aus, dass Wissen und Einsicht alle Not und Unter- drückung beenden werde. Sie waren daher von der Not- wendigkeit einer allgemeinen Volksbildung überzeugt. Bei manchen Herrschern fanden diese Gedanken An- klang. In Österreich wurden unter Maria Theresia die Volksschulen vom Staat eingerichtet. Dies bedeutet je- doch keineswegs, dass in der Folge alle Kinder in die Schule gingen. Es liegen Schätzungen vor, dass um 1800 in Österreich erst 25% der Kinder die Schule besuchten. Beschreibe, welche sozialen Schichten im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit Zugang zu Bildung hatten. Die Kinder der unteren Bevölkerungsschichten sollten für die Arbeit in den Manufakturen zu Gleichmäßigkeit, Pünktlichkeit und Ausdauer erzogen werden: Q Junge Kinder vom vierten oder fünften Jahre müssen schon nach und nach und, wenn es mög- lich ist, ohne Zwang zur Arbeit gewöhnt werden, und zwar zu einer solchen, welche die Glieder übt und die Gesundheit stärkt. (Basedow, Das Methodenbuch für Väter und Mütter der Familien und Völker, 1770, S. 10) In der Epoche der Aufklärung wurden Frauen in den häus- lichen Bereich zurückgedrängt. Die Mädchen sollten da- heim auf den „wahren“ Beruf der Frau vorbereitet werden: „Vorsteherinnen des Hauswesens“. Besonderen Einfluss übte Jean-Jacques Rousseau mit seinemWerk „Émile oder Über die Erziehung“ (1762) aus. Darin sieht er als „eigent- liche“ und oberste Bestimmung der Frau, „Kinder zu ge- bären“ und eine „richtige Familienmutter“ abzugeben. „Vernünftige“ Änderungen im Recht Aufklärerische Ideen führten auch zu Veränderungen auf dem Gebiete des Strafrechts. Große Bedeutung er- langte dabei das Werk „Von den Verbrechen und Stra- fen“ des Italieners Cesare de Beccaria. Darin wandte er sich gegen die Willkür der Richter sowie gegen Folter und Todesstrafe. Die Verurteilung von Gesetzesbrechern sollte nicht mehr der Vergeltung und Rache dienen. Ihr Zweck sei der Schutz der Bevölkerung und habe eine erzieherische Aufgabe. Entgegen der aus dem Mittelal- ter stammenden Ansicht vertrat er die Meinung, dass die Folter kein taugliches Mittel zur Wahrheitsfindung sei: Q Vor dem Ausspruche des Richters kann man kei- nen Menschen als schuldig ansehen. Man darf einen Unschuldigen nicht foltern, und unschuldig ist nach dem Gesetz jeder, dem ein Verbrechen nicht nachgewiesen ist. (Cesare de Beccaria, Von den Verbrechen und Strafen, 1764) Folter und Todesstrafe finden heute noch in vielen Län- dern Anwendung. Nenne internationale Organisationen, welche diese Länder anklagen und sich um eine weltweite Abschaffung von Folter und Todesstrafe bemühen. Die Aufklärung Weltanschauung des gebildeten Bürgertums im 18. Jahrhundert Glaube an die Macht der Vernunft gegen geistige und politische Bevormundung Forderungen Unterwerfung der Kirche unter den Staat Religiöse Toleranz Redefreiheit Bildung und Wohlfahrt der breiten Massen Freier wirtschaftlicher Wettbewerb Lehre von der Volkssouveränität Kampf gegen Kirche und Absolutismus Herrschaft der Natur – der Physiokratismus In der zweiten Hälfte des 18. Jh. wurde die Lehre der Physiokraten entwickelt. Einer ihrer wichtigsten Vertre- ter war François Quesnay, der Leibarzt Ludwigs XV. Sei- ne zentrale Forderung war eine Wirtschaft ohne staatli- che Eingriffe. Er meinte, dass sich der Wohlstand bei persönlicher Freiheit und Selbstverantwortung am bes- ten entwickle. Quesnay bezeichnete die vom Merkantilismus benach- teiligte Landwirtschaft als die „Quelle aller Reichtümer des Staates“. Diese Überbewertung der Landwirtschaft führte zu weiteren Forderungen der Physiokraten: – Förderung der Binnenkolonisation statt der Erwer- bung von Kolonien in anderen Kontinenten; – Förderung der Landwirtschaft (Anbau von Kartoffeln, Mais, Tabak, Entwicklung verbesserter Anbaumetho- den); – Bauernbefreiung: Abschaffung der Leibeigenschaft und Verringerung der persönlichen Dienstleistungen (Robot); – Bodenreform: Die bäuerliche Bevölkerung sollte das von ihr bebaute Land als freies Eigentum besitzen; – freie, natürliche Wirtschaftsordnung ohne Einmi- schung des Staates. Der Physiokratismus hatte das Ziel, die Einflussnahme des Staates zurückzudrängen. Damit wurde er zu einer wichtigen Grundlage des Wirtschaftsliberalismus im nachfolgenden Industriezeitalter. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Ermittle die auf dieser Doppelseite angebotenen Textquel- len in Hinblick auf ihre aufklärerischen Ideen. Erörtere, wo und in welcher Form diese Ideen umgesetzt oder nicht umgesetzt wurden. Diskutiert mögliche Ursachen für die Umsetzung bzw. Nicht-Umsetzung. Von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg 87 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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