Zeitbilder 6, Schulbuch

ins Jahr 1650 aus. Natürlich stellt sich sofort die Frage nach den Ursachen dieses […] Massensterbens. Die Antwort, die der überwiegende Teil der Schulbücher auf diese Frage liefert, besteht darin, dafür die Grau- samkeiten der „tyrannischen und teuflischen“ Spa- nier verantwortlich zu machen […]. Zur Erklärung des demographischen Kollaps werden […] Zitate aus der Brevissima Relacion de la destrucion de las Indias [Sehr kurzer Bericht […], Anm. d. A.] des umstrittenen Bartolome de Las Casas herangezogen. Der Dominikanermönch und spätere Bischof verfasste diese Schrift, mit der er vor Karl V. für mehr Rechte für Indios eintrat, in den Jahren 1541/42 […]. Las Casas strich […] die Grausamkeiten einiger Konquistadores [= Eroberer, Anm. d. A.] in der Neuen Welt heraus und machte diese für den Rückgang der indigenen Bevöl- kerung verantwortlich. Der Befund Las Casas' ist je- doch historisch nicht haltbar […]. Durch diese nicht auf historischer Forschung beruhende Darstellung sind seit dem 15. Jahrhundert negative Stereotype [= im- mer wiederkehrende Darstellung, Anm. d. A.] über Spanier – insbesondere jenes der unvergleichbaren Grausamkeit – verbreitet worden […]. Wie diskutiert die Forschung den Rückgang der indi- genen Bevölkerung Hispanoamerikas? Die „Erobe- rung“ […] forderte eine gewisse Anzahl von Opfern. Auch die extreme Arbeitsbelastung […] – vor allem die Arbeit in den Bergwerken – trug mit Sicherheit dazu bei, dass die Bevölkerung zurückging. Weder in Kriegen noch im Arbeitszwang besteht aber der Hauptgrund für den Rückgang der indigenen Bevöl- kerung. Die Grazer Lateinamerikanistin Renate Piper schreibt […]: „Die mit Abstand wichtigste Ursache des Massensterbens unter der autochthonen [= ein- heimischen, Anm. d. A.] Bevölkerung lag in den von den Europäern und Afrikanern eingeschleppten Krankheiten.“ […] Als die indigene Bevölkerung plötzlich in Kontakt mit Pocken, Diphterie, Grippe, Masern und Typhus kam, hatte dies verheerende Fol- gen […]. Angesichts dieser Menschenverluste durch Krankhei- ten zeigten sich die Spanier ratlos. Die spanischen Kolonisatoren waren schon aus eigennützig ökonomi- schen Motiven daran interessiert, dass die autochtho- ne Bevölkerung am Leben blieb. Land ohne Men- schen, die dort Arbeiten verrichten, wäre für sie wert- los gewesen […]. In Nordamerika […] haben von […] Sklavenhändlern eingeschleppte Epidemien die Wampanoag-Indios schon um zwei Drittel, die Massachusetts-Indianer zu 90% vernichtet […]. Diese Tatsachen werden aber von den Schulbüchern in den meisten Fällen nicht berich- tet […] – bei Spanien werden andere Maßstäbe ange- legt als dies bei den übrigen Völkern der Fall ist […]. (Bernhard, „Tyrannische und teuflische Spanier“ in österreichischen Schulbüchern. Die „Schwarze Legende“; in: Informationen für Ge- schichtslehrer, 2011, S. 5 ff.) Fragen und Arbeitsaufträge 1. Beschreibe das in M5 dargestellte Fresko des mexikani- schen Malers Diego Rivera aus dem Jahr 1951. 2. Erörtere die Aussage dieses Bildes und, welche Wirkung der Künstler damit erzielen wollte. 3. Vergleiche diese bildliche Darstellung M5 mit der schriftli- chen Quelle M3: Welche der Plagen hat Rivera dargestellt, welche fehlen? Erörtere, ob Rivera diesen Bericht als Anlei- tung für sein Fresko genommen haben könnte. 4. Lies die Darstellung M1 durch und vergleiche sie mit der Quelle M2: Analysiere, wie die Unterwerfung unter die spa- nische Herrschaft beschrieben wird. 5. Lies die Darstellung M4: Beschrei- be, wie Bernhard den Rückgang der indigenen Bevölkerung in den spa- nischen Eroberungen begründet. Arbeite heraus, was er in diesem Zusammenhang an der Darstellung in den österreichischen Schulbü- chern kritisiert. 6. Lies dazu folgende Abschnitte durch: „Die Ausbeutung und Ausrot- tung der indigenen Bevölkerung“ (S. 67 f.) und „Gegen die indigene Bevölkerung“ (S. 89). Analysiere die Ähnlichkeiten und Unterschiede der Autorentexte: Lassen sich unter- schiedliche Tendenzen in der Dar- stellung feststellen; wenn ja, welche? 7. Beurteile die Kritik, die negative Darstellung der spanischen Herr- schaft beruhe vor allem auf den Berichten Las Casas. 8. Beurteile nun, ob und inwieweit die Kritik des Historikers Bernhard (M4) an diesen Texten berechtigt ist. Expansion – vom Kolonialismus zum Imperialismus 71 Die Ankunft der Spanier unter Cortés in Veracruz am 22. April 1519: Diego Rivera (1886–1957), Landung der Spanier 1519. Fresko, Palacio Nacional in Mexiko City, 1951. M5 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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