Zeitbilder 6, Schulbuch

Arbeite heraus, welche Probleme und Schwierigkeiten von Frauen in der Mitte des 19. Jh. die Autorin Louise Otto-Peters beschreibt. Vielen Frauen war klar geworden, dass außerhäusliche Berufstätigkeit nicht nur eine Belastung, sondern auch eine Chance für Unabhängig- keit und Selbstverwirklichung war. Neue Entwicklungen in der Wirt- schaft im letzten Drittel des 19. Jh. brachten vermehrt Möglichkeiten für die berufliche Gleichberechti- gung der Frauen: Kaufhäuser ent- standen, Industriebetriebe vergrö- ßerten ihre Verwaltung, die Post richtete Fernsprechdienste ein. Neue Berufe, vor allem im Bereich der Dienstleistungen, wurden für Frauen mit entsprechender Ausbil- dung möglich: Telefonistin, Sekretä- rin, Verkäuferin, Lehrerin. Das Pro- blem der Doppel- und Dreifachbe- lastung als Mutter, Hausfrau und Berufstätige konnte aber für viele Frauen bis in die heutige Zeit nicht gelöst werden. Der Kampf um Bildung Jahrhundertelang bestimmten Män- ner das öffentliche Leben, die Politik und die Wirtschaft. Männer definier- ten auch ihre Rollenerwartungen Frauen gegenüber. Der Katalog an Vorurteilen über „die Natur“ und die „wahre Bestimmung“ von Frauen war groß, wie die folgenden Aussa- gen aus dem 19. und beginnenden 20. Jh. belegen: Q Das niedrig gewachsene, schmalschultrige, breithüftige und kurzbeinige Geschlecht das Schöne nennen, konnte nur der vom Geschlechtstrieb umnebelte männ- liche Intellekt. In diesem Triebe nämlich steckt seine ganze Schön- heit […]. Dass das Weib seiner Natur nach zum Gehorsam bestimmt sei, gibt sich daran zu erkennen, dass eine jede, welche in die ihr naturwi- drige Lage gänzlicher Unabhängig- keit versetzt wird, alsbald sich ir- gendeinem Manne anschließt, von dem sie sich lenken und beherr- schen lässt, weil sie eines Herrn be- darf. Ist sie jung, so ist es ein Lieb- haber, ist sie alt, ein Beichtvater. (Schopenhauer, Über die Weiber, 1851) Q Der Instinkt nun macht das Weib tierähnlich, unselbst- ständig, sicher und heiter. In ihm ruht ihre eigentümliche Kraft, er macht sie bewundernswert und an- ziehend. Mit dieser Tierähnlichkeit hängen sehr viele weibliche Eigen- tümlichkeiten zusammen. (Möbius, Über den physiologischen Schwach- sinn des Weibes, 1900) Q Es ist das Verhältnis von Mann und Weib kein anderes als das von Subjekt und Objekt. Das Weib sucht seine Vollendung als Objekt. Es ist die Sache des Mannes oder die Sache des Kindes und will, trotz aller Bemäntelung, nicht an- ders genommen werden denn wie eine Sache […]. Ihr Bedürfnis ist vielmehr, nur als Körper begehrt und nur als fremdes Eigentum be- sessen zu werden. (Weininger, Geschlecht und Charakter, 1903) Bildung sah man für Frauen nur dann für notwendig an, wenn dies nützlich für ihre Tätigkeit als Haus- frau und Mutter war. Noch im 18. Jh. lernten nur wenige Mädchen Lesen und Schreiben. Bildung war ein Pri- vileg der Wohlhabenden. Mädchen aus der Oberschicht erhielten durch Hauslehrer eine „schöngeistige Er- ziehung“. Es entstanden „Höhe- re-Töchterschulen“, z. B. unter Jo- seph II. ein „Offizierstöchterinstitut“. In solchen Schulen wurden Mäd- chen jedoch nicht für eine selbst- ständige berufliche Tätigkeit ausge- bildet, sondern auf ihre „weibliche“ Rolle in bürgerlichen und adeligen Haushalten vorbereitet. Auf dem Lehrplan standen daher Fächer wie Klavierspielen, Französisch-Konver- sation, Religion und Handarbeiten. Dorothea Friderike Baldinger, die Tochter eines deutschen Arztes, schrieb 1760: Q Ich wünschte so sehr gelehrt zu werden und ärgerte mich, dass mich mein Geschlecht davon ausschloss […]. Nun kam auch mein Bruder von der Universität. Diesem ewig geliebten Bruder habe ich alle meine Kenntnisse, mein Glück zu verdanken. Ich wür- de mehr davon haben, wenn nicht meine Mutter geglaubt hätte: Bü- cher lesen, außer Bibel und Ge- sangbuch, wäre Todsünde, Müßig- gang [verlorene Zeit] für ein Mäd- chen […]. Ich sollte von meinem Bruder Klavier, Französisch und dergleichen lernen […]. Meine Lie- be zu den Wissenschaften wuchs, je mehr ich mit ihnen bekannt wur- de. Ich glaube, ich wäre gelehrt geworden, wenn mich die Vorse- hung nicht für den Kochtopf be- stimmt hätte. Ich finde immer noch, dass man auch bei weiblichen Auf- gaben den Verstand der Männer aus ihren Büchern brauchen kann. (Zit. nach: Van Dülmen [Hg.], Frauenleben im 18. Jahrhundert, 1992, S. 249 f.) Arbeite heraus, welche Meinungen und Urteile über Frauen sich aus den Quellen erschließen lassen. Beschreibe und erläutere, welche Vorurteile es gegenüber Mädchen und Frauen heute noch gibt. Etwa ab der Mitte des 19. Jh. ent- wickelte sich im Bürgertum allmäh- lich das Bewusstsein, dass Frauen und Mädchen besser ausgebildet werden sollten. Dies würde ihre Chancen im Erwerbsleben erhöhen. Hatten sie nämlich keinen männli- chen „Versorger“, so gerieten manche in großes Elend. 1866 grün- dete die Wienerin Iduna Laube mit dem „Wiener-Frauen-Erwerbs-Ver- ein“ den ersten Frauenverein Öster- reichs. Er setzte sich für Mädchen aus der Mittelschicht ein. Neben an- deren Frauen kämpfte die sozial sehr engagierte und später für die christ- lich-soziale Partei tätige Marianne Hainisch (1839–1936) jahrzehntelang für bessere Ausbildungsmöglichkei- ten für Frauen. So versuchte sie 1870, allerdings vergeblich, eine erste Mädchenmittelschule zu gründen. In den 70er-Jahren des 19. Jh. errichte- te der Frauenerwerbsverein eine „Höhere Fachschule für Kunststicke- rei“. Da in der Wirtschaft immer mehr Sekretärinnen gebraucht wur- den, gründete man Handelsschulen, nach und nach auch andere Fach- schulen für Mädchen. Da für diese allerdings ein hohes Schulgeld zu bezahlen war, kamen meist nur Töchter reicher Bürger in den Genuss einer besseren Ausbildung. Besonders mühsam gestaltete sich der Zugang von Mädchen und Frau- Längsschnitt 54 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum d s Verlags öbv

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