Zeitbilder 6, Schulbuch

12. Frankreich unter Ludwig XIV. Der Sonnenkönig Nach dem Tod Kardinal Mazarins übernahm Lud- wig XIV. allein die Regierung. Alle wichtigen Entschei- dungen fällte der König selbst. Wenn auch der oft zitier- te Satz „L’État c’est moi“ (Der Staat bin ich) wahrschein- lich nicht von Ludwig XIV. stammt, so drückt er doch seine überragende Stellung treffend aus. Q Als Sinnbild wählte ich die Sonne, die nach den Regeln der Wappenkunst das vornehmste Zei- chen vorstellt. Sie ist ohne Zweifel das lebendigste und schönste Sinnbild eines großen Fürsten, sowohl deshalb, weil sie einzig in ihrer Art ist, als auch durch den Glanz, der sie umgibt, durch das Licht, das sie den anderen Gestirnen spendet, die gleichsam ihren Hofstaat bilden, durch die gerechte Verteilung des Lichtes über die verschiedenen Himmelsgegenden der Welt, durch die Wohltaten, die sie überall spen- det, durch das Leben, die Freude und die Tätigkeit, die sie überall weckt, durch ihre unaufhörliche Bewe- gung, bei der sie trotzdem stets in ständiger Ruhe zu schweben scheint, durch ihren ständigen und unver- änderlichen Lauf, von dem sie niemals abweicht. (Ludwig XIV., Memoiren, 1931, S. 187) Beschreibe, wie Ludwig XIV. seine Stellung sieht. Übertra- ge dazu die Eigenschaften der Sonne auf den menschli- chen Bereich. Arbeite aus dieser und der nächsten Quel- lenstelle das Selbstverständnis Ludwigs XIV. heraus. In seinen Memoiren beschrieb Ludwig XIV. das Verhält- nis des Herrschers zu seinen Untertanen: Q Gott, der die Könige über die Menschen gesetzt hat, wollte, dass man sie als seine Stellvertreter achte, und er selbst hat sich das Recht vorbehalten, über ihren Wandel zu urteilen. Es ist sein Wille, dass, wer als Untertan geboren ist, willenlos zu gehorchen hat. (Ludwig XIV., Memoiren, 1931, S. 187) Versailles – die Bühne des Königs L In einem „Sumpf, in dem Nattern, Kröten und Frö- sche hausten“ – so berichtet der Augenzeuge Saint- Simon –, ließ Ludwig XIV. das Jagdschlösschen seines Vaters bei Paris zur glanzvollen Residenz erweitern. Von 1661–1689 bauten – unter der Leitung der Baumeis- ter Le Vau und Hardouin-Mansart – bis zu 36000 Arbei- ter an der Schlossanlage. 6000 Pferde waren zum Trans- port der Materialien eingesetzt. Die Gartenfront des Schlosses ist 580 m lang und hat 375 Fenster. Es gibt etwa 2000 Räume. Die Spitze des französischen Adels wohnte ständig in Versailles. Rund 20 000 Menschen umfasste der Hofstaat, darunter eine Leibwache von mehreren tausend Mann, 338 Köche, 125 Sänger, 80 Pa- gen, 74 Kapläne, 68 Quartiermeister, 62 Herolde, 48 Ärzte, 40 Kammerherren, 12 Mantelträger, 8 Rasie- rer, 3 Bindenknüpfer. Der Plan für Garten und Park stammt von Le Nôtre. Um die vielen Kanäle, Bassins, Teiche, Wasserfälle und 1400 Springbrunnen zu versor- gen, musste Wasser über weite Strecken in die mächti- gen Reservoirs von Versailles geleitet werden. (Schmid, Fragen an die Geschichte, Bd. 3, 1981, S. 19) Jean Nocret, Ludwig XIV. und seine Familie. Gemälde, Öl auf Leinwand, 305 x 420 cm, 1670. Ludwig XIV. ließ sich von Jean Nocret als griechi- scher Sonnengott Apoll darstellen. Die Mitglieder seiner Familie haben ebenfalls göttliche Gestalt. Versailles diente dem König als Bühne: Er inszenierte sich als absoluten Mittelpunkt, um den sich alles zu dre- hen hatte. Viele Adelige überließen ihre Güter Verwal- tern und zogen nach Versailles. Hier wurden sie mit klangvollen Ämtern betraut, besaßen aber keine politi- sche Macht. Sie bildeten den neuen Stand des Hofadels, der immer mehr – auch finanziell – vom König abhängig wurde. Angelockt wurden viele Adelige auch von den Unterhaltungsmöglichkeiten in Versailles: Theater- und Ballett-Aufführungen, Konzerte, Feuerwerke, Jagden, Umzüge hielten die vergnügungssüchtige „Partygesell- schaft“ von Versailles in Atem. Das gesamte Leben am Hof war durch eine strenge Etikette geordnet. Jeder Ein- zelne erhielt einen festen Platz und eine bestimmte Rol- le zugewiesen. Auch dies diente dem Ausbau und der Sicherung der Vorrangstellung des Königs. Ein Kritiker Ludwigs XIV., der Herzog von Saint-Simon, schrieb über Methoden des Sonnenkönigs, die Hofge- sellschaft in Abhängigkeit zu halten: Q Alle Welt wurde allmählich dazu gebracht, in den Dienst des Königs zu treten und dadurch zur Ver- größerung des Hofes beizutragen. Dies war einer der Wege, den Adel um seine Bedeutung zu bringen und an die Gleichheit zu gewöhnen. So geriet langsam jede persönliche und auf Abstammung gegründete Unterscheidung in Vergessenheit. (Zit. nach: Guggenbühl, Quellen zur allgemeinen Geschichte III, 1965, S. 269 f.) Erkläre, wie es dem König gelang, die Adeligen an sich zu binden und sie gleichzeitig politisch zu entmachten. Ludwig XIV. trat auch als Förderer der Kunst auf. Er nutzte diese jedoch lediglich zur Verherrlichung seiner Person und Herrschaft (vgl. dazu S. 38 f.). 34 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des V rlags öbv

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