Zeitbilder 6, Schulbuch

M1 Ausschnitt aus einem Interview von Klaus Buttinger mit dem Historiker Rudolf Ardelt (12. März 2016), anlässlich der Ausstellung „Der ewige Kaiser“: Buttinger: Beim Volk […] genoss der Kaiser höchstes Ansehen. Ardelt: Es gibt einen Mythos um den Kaiser. In Wien kann man den alten Herrn häufig sehen, wie er mit der Kutsche aus der Hofburg fährt. Er scheint volks- nah zu sein, ist aber unglaublich fern für die Leute. Er ist keiner wie der Papst, der hingeht und den Leu- ten die Hand schüttelt. Er produziert stattdessen das Bild eines unglaublich um das Reich Bemühten. Da gibt es die Erzählungen, wie genau er die Akten liest, bis in die Nacht hinein, und dann in seinem Feldbett schläft. Er wird als bescheidener Kaiser beschrieben, der ein anspruchsloses Leben führt. Kein Luxuskaiser. Das trägt ihm Sympathien ein. […] Buttinger: Inwieweit wird dieser Mythos mitgetragen von den Zeitungen, von der aufkommenden Fotogra- fie und vom Film? Ardelt: Die Medien waren insgesamt sehr starke Promotoren dieses Images. Und: Wer am Kaiser oder am Bild des Hauses Habsburg zu rütteln versuchte, wurde strafrechtlich verfolgt. Kritik war nicht förder- lich für eine Redaktion. […] Buttinger: Nach dem Ersten Weltkrieg, auch nach dem Zweiten, entsteht eine Sehnsucht in Österreich nach dem alten Kaiser, unter dem vermeintlich alles besser war. Wie kam das? Ardelt: Nach 1918 setzt eine Verklärung des Kaisers Franz Joseph ein und will zudecken, was es an Graus- lichkeiten im Ersten Weltkrieg gab, etwa die ersten Konzentrationslager. Buttinger: Und nach dem Zweiten Weltkrieg die „Sis- si“ Filme …? Ardelt: Bis heute ist die Frage, wie weit der Glanz der Monarchie verwendet wird, um ein bisschen Sonnen- schein über der Republik auszubreiten. Auch interna- tional sollten durch diesen Glanz die dunklen Seiten dieses Österreich verblassen. Buttinger: Welchen wichtigen Aspekt haben wir noch nicht besprochen? Ardelt: Wichtig für mich ist, dass man nicht an einer einzelnen Person festmachen kann, wie Geschichte verläuft. Es gehört schon ein soziales System dazu, ein Netzwerk und seine Ränge und Standesvorschriften. (http://www.nachrichten.at/nachrichten/longread/Der-Mythos-um- Kaiser-Franz-Joseph-I;art180211,2172941, 17.4. 2016) Analysiert in Kleingruppen jeweils eine Filmszene (vgl. dazu Zeitbilder 5, S. 108 f.). Beurteilt – gegebenenfalls nach Re- cherchen – die historischen Fehler und bewertet die mögliche Absicht der Filmemacher. Diskutiert, warum die Sissi-Filme (bis heute) bei vielen so beliebt sind. Projektvorschlag 5 M1 „Sissi – Die junge Kaiserin“ Filmplakat zum 2. Teil der „Sissi- Film-Trilogie“ von Ernst Marischka, 1956. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Benenne den Herrschaftsanspruch Franz Josephs I., der in M1 behauptet wird. Suche Belege in den vorangegangenen Kapiteln, die diese Aussagen unterstützen. 2. Schildere die Funktion der Porträts des Kaisers, die in M1 angeführt wird. Welche historischen Quellen wird der Autor dieses Artikels vermutlich verwendet haben, um zu diesen Aussagen zu kommen? 3. Beschreibe die beiden Porträts von Kaiser Franz Joseph (M2 und M3). Setze sie in Beziehung zu den Aussagen von M1. Vergleiche die beiden Darstellungen mit dem Porträt Ludwigs XIV. (vgl. S. 32): Welche Unterschiede lassen sich erkennen, wie wollten die Herrscher jeweils von ihren Unter- tanen wahrgenommen werden? 4. Erläutere, inwiefern derartige Abbildungen als „Instrumente des Mythos“, als Mittel der politischen Propaganda dienen? Begründe deine Meinung. 5. Benenne die persönlichen Charakterzüge und durch Erzie- hung geprägten Eigenschaften, die Franz Joseph I. in M4 zugeschrieben werden. Erkläre, wie laut dieser Darstellung „das Klischeebild des alten, einsamen Kaisers“ entstand. 6. Erörtere, wie die Frage nach den Einfluss- und Gestaltungs- möglichkeiten Franz Josephs in M4 beantwortet wird. 7. Dekonstruiere die Bewertungen der Regierung Franz Josephs I. in M4: Erläutere dazu die positiven und negativen Beurteilungen seiner politischen Maßnahmen in dieser Darstellung. 8. Beschreibe, worin nach Auffassung des Historikers Ardelt (M 5) der „Mythos um den Kaiser“ bestand. Nenne Ardelts Begründung dazu. Beschreibe, welche Rolle zur Mythenbil- dung er den Medien während der Regierungszeit Franz Jo- sephs zuschreibt. 9. Schildere, inwiefern die in M5 behauptete „Verklärung“ des Kaisers nach 1918 und der „Sissi-Mythos“ nach 1945 be- gründet werden. 10. Beschreibe die Darstellung des Kaiserpaares auf dem Film- plakat M6. Welches Bild soll hier wohl vermittelt werden? 11. Formuliere Fragen, die dir helfen, die in M1, M4 und M5 gemachten Aussagen und Wertungen auf ihre Relevanz und Glaubwürdigkeit hin zu überprüfen. 6 Österreich vom Aufgeklärten Absolutismus bis zum Ende der Monarchie 179 Nur zu Prüfzwecken – Eigen tum des V rlags öbv

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