Zeitbilder 6, Schulbuch

7. Parteien und Interessenverbände entstehen Beschränkung des Wahlrechts – Honoratiorenparteien Auch nach 1867 konnten nur Besitzende (Männer) poli- tisch mitbestimmen. Dies verhinderte die Bildung von Massenparteien im heutigen Sinn. Das politische Leben jener Jahre war von Honoratiorenparteien geprägt: Die- se besaßen weder eine feste Organisation noch ein ideo- logisches Programm. Die Abgeordneten – meist persön- lich wohlhabend – fühlten sich im Parlament keiner Gruppe und auch den Wählern gegenüber nicht verant- wortlich. Sie entschieden einfach nach „bestem Wissen und Gewissen“. Um ihre Interessen wirkungsvoll vertre- ten zu können, schlossen sich die Abgeordneten jedoch in Klubs zusammen. Im österreichischen Reichsrat wa- ren dies zunächst die Liberalen und die Konservativen. Die Liberalen vertraten das finanziell und industriell en- gagierte Bürgertum, die Freiberufler und den kapitalis- tisch ausgerichteten Teil der Großgrundbesitzer. Sie bil- deten bis 1896 die stärkste Fraktion im Reichsrat. Die Konservativen vertraten den Rest der Großgrundbe- sitzer, die Interessen der Kirche und die reichen Bauern. Sie waren für einen starken Herrscher. Aus diesem Grund standen sie einem Zentralparlament lange eher skeptisch gegenüber. Dafür wollten sie die Rechte der Landtage ausweiten. Gegen Ende des Jahrhunderts wurden die Konservativen immer mehr von den Christ- lichsozialen bedrängt. 1907 schlossen sie sich mit ihnen zu einem gemeinsamen Parlamentsklub zusammen. Ausweitung des Wahlrechts – Massenparteien Das Wahlrecht wurde schrittweise auf immer größere Teile der Bevölkerung ausgedehnt. Dies führte schließ- lich zum Entstehen von Massenparteien. Sie entwickel- ten schon sehr bald eine feste Organisation. Ihre Pro- gramme waren ideologische Grundsatzerklärungen, Parteidisziplin wurde großgeschrieben. Möglichst alle Wähler sollten auch Parteimitglieder sein. An die Stelle der wohlhabenden Amateurpolitiker traten nun Funk- tionäre, welche die Politik berufsmäßig betrieben. Noch vor der Jahrhundertwende bildeten sich in Öster- reich jene drei politischen Lager, die bis heute in der Politik bestimmend geblieben sind: Die Christlichsozia- le Partei, die sich zur Österreichischen Volkspartei wei- terentwickelte, die Sozialdemokratische Partei, die diese Bezeichnung auch heute führt, und schließlich das Deutschnationale Lager, welches sein liberales und na- tionales Ideengut der heutigen Freiheitlichen Partei Ös- terreichs vererbte. Das Deutschnationale Lager Die Trennung von Deutschland 1866 ließ die deutsch- sprachige Bevölkerung der Habsburgermonarchie zu einer Minderheit werden. Nach dem Ausgleich sahen sich die Deutschnationalen durch die slawische Mehr- heit in ihrer Führungsrolle gefährdet. Das Deutschnatio- nale Lager war in viele Parteien zersplittert. Den größten Zulauf hatte es in all jenen Gebieten Österreichs, wo Deutsche und Slawen unmittelbar miteinander in Berüh- rung kamen: in den Sudetenländern, in Kärnten und in der Steiermark, aber auch in Wien. Besonders Studenten und Akademiker stellten neben dem Kleinbürgertum den Kern ihrer Anhängerschaft. Ziel der Deutschnationalen war, die (führende) Stellung der Deutschen zu sichern und eine intensive Zusammen- arbeit mit dem Deutschen Reich herbeizuführen. Dies wurde schließlich von Georg Ritter von Schönerer, ei- nem radikalen Anführer der Deutschnationalen, im Lin- zer Programm (1882) festgeschrieben: Q Es ist durch die Lage und die historische Entwick- lung der diesseitigen Reichshälfte bedingt, dass jenen Ländern der Monarchie, welche ehemals dem Deutschen Bunde angehörten, der deutsche Charak- ter gewahrt bleibe, und es muss daher gefordert wer- den, dass durch ein Gesetz die deutsche Sprache aus- schließlich Sprache des Heeres, der Vertretungskör- per und der öffentlichen Ämter sei, dass demnach der gesamte innere Amtsverkehr sowie die öffentlichen Bücher und Protokolle ausschließlich in deutscher Sprache geführt und dass niemand eine Staatsanstel- lung oder sonst ein öffentliches Amt bekleiden könne, der nicht der deutschen Sprache in Wort und Schrift vollkommen mächtig ist […], dass in Orten mit sprach- lich gemischter Bevölkerung an mindestens einer Volksschule der Unterricht in deutscher Sprache er- teilt und an allen Mittelschulen die deutsche Sprache als obligater Gegenstand gelehrt werde, wogegen kein Schüler zur Erlernung einer anderen etwa lan- des- oder bezirksüblichen Sprache gezwungen wer- den kann […]. (Zit. nach: Frass, Quellenbuch, Bd. 3, 1962, S. 287) Vergleiche diese Forderungen mit dem Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes (S. 168) über die allgemeinen Rech- te der Staatsbürger. Welcher Widerspruch ergibt sich dar- aus? Recherchiere über das Schulwesen für Angehörige von Minderheiten im heutigen Österreich. Schönerer war sehr populär. Er verehrte alles Preußische und forderte, die deutschsprachigen Gebiete an Deutsch- land anzuschließen. Deshalb gelang es ihm nicht, alle Deutschnationalen in einer einzigen Partei zu vereini- gen. Zu viele von ihnen verhielten sich nämlich der Mo- narchie gegenüber loyal. Erst 1911 verbanden sich meh- rere deutschnationale Parteien zu einem „deutschen Nationalverband“, der dann die stärkste Fraktion im Reichsrat bildete. Schönerers eigene Partei („Alldeutsche“) blieb stets klein. Zu extrem war sein politisches Programm: Er war ein leidenschaftlicher Gegner der katholischen Kirche und vertrat einen radikalen rassischen Antisemitismus. Die Ideen Schönerers zündeten erst Jahre nach dem Auseinanderfallen der Monarchie, dann aber verhee- rend: Der junge Adolf Hitler hatte diese Ansichten in Wien kennen gelernt und – vor allem den Antisemitis- mus – zu einer Grundlage seiner Politik gemacht. 170 Nur zu Prüfzw cken – Eigentum des Verlags öbv

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