Zeitbilder 6, Schulbuch

5. Ausgleich mit Ungarn und Nationalitätenstreit Der Kaiser unter Druck L Dass Königgrätz ein Unglück, ja eine der größten Katastrophen der österreichischen Geschichte war, blieb bis zum heutigen Tag ein fester, unverrückbarer Bestandteil des österreichischen Geschichtsbewusst- seins. Es war in der Tat eine Katastrophe, aber – abge- sehen von den gefallenen und verstümmelten Soldaten und ihren Angehörigen – nur für den Hof, nur für die Machtstellung des Hauses Habsburg. Für die Bevölke- rung […] bedeutete die verheerende Niederlage am 3. Juli 1866 weder Unheil noch Verderben. Im Gegen- teil: Die Katastrophe von Königgrätz war das auslösen- de Moment eines von nun an stetig fortschreitenden Demokratisierungsprozesses, der Anfang eines politi- schen, wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwungs, der Beginn des sprichwörtlichen „Goldenen Zeitalters“ der österreichisch-ungarischen Monarchie. (Vajda, Felix Austria, 1980, S. 525) Beschreibe, welche Bedeutung der Historiker Vajda der Schlacht von Königgrätz 1866 beimisst. Erkläre, welche Folgen dieses Ereignis laut seiner Darstellung für die Habsburgermonarchie hatte. Die Niederlage gegen Preußen (vgl. S. 137) zwang den Wiener Hof zum Nachgeben. Zu viele ungelöste Fragen (Verfassung, ungarischer Nationalismus, Zentralismus oder Föderalismus usw.) hatten sich aufgestaut. Man be- fürchtete eine Wiederholung der Revolution von 1848/49 und damit verbunden eine mögliche Auflösung der Mo- narchie. Innerhalb weniger Monate erhielt die Monar- chie daher eine neue Form. Der Dualismus Zunächst ging man an die Lösung des „ungarischen Pro- blems“. Der Aufstand von 1849 war dort mit Hilfe russi- schen Militärs niedergeworfen worden. In Ungarn war der Widerstand gegen den Wiener Zentralismus aber nie ganz erloschen. L Auch jene Magyaren, die sich gegen die republi- kanischen Ideen Kossuths immun zeigten und an der Dynastie Habsburg-Lothringen festhielten, ver- langten zumindest die Wiederherstellung der alten Rechte des Königreiches Ungarn. Es bildeten sich Ge- heimgesellschaften, sie wurden ausgehoben und ihre Mitglieder wanderten in die Gefängnisse. Aber kaum hatte man die eine entdeckt, so wurde eine neue ge- gründet. Die Behörden setzten für jede Verhaftung eine Prämie aus und trieben so Polizei und Gendar- merie zu immer schärferen Maßnahmen. 1856/57 wurden auf diese Weise in Ungarn binnen drei Mona- ten 342 000 Kriminalfälle registriert. (Görlich/Romanik, Geschichte Österreichs, 1970, S. 417) Erläutere, was diese Zahl bei einer (geschätzten) Gesamt- zahl von 5,5 Millionen Magyaren im Kaisertum Österreich bedeutet. Die Österreichisch-Ungarische Monarchie von 1867 Gemeinsame Ministerien Realunion: k. u. k. Außenministerium Kriegsministerium alle 10 Jahre „Ausgleich“ der gemeinsamen Staats nanzen für Außen- und Kriegsministerium Personalunion Franz Joseph I. ist Kaiser von Östereich und König von Ungarn (österreichische Reichshälfte) (ungarische Reichshälfte) in der k. u. k. Monarchie („Doppelmonarchie“) österreichische Reichshälfte 70 % der gemeinsamen Kosten Österreichische Regierung eigene Ministerien (k. k.) Österreichischer Reichsrat ungarische Reichshälfte 30 % der gemeinsamen Kosten Ungarische Regierung eigene Ministerien (m. k.) Ungarischer Reichstag Der „Ausgleich“ von 1867 machte aus dem einheitlichen Erb- kaisertum Österreich die Österreichisch-Ungarische Monarchie. Schon 1867 waren die Verhandlungen abgeschlossen. Ihr Ergebnis war der so genannte „Ausgleich“, ein Vertrag zwischen Franz Joseph und dem ungarischen Reichstag. Den Forderungen der Ungarn, die von Kaiserin Elisa- beth starke Unterstützung erhielten, wurde schließlich weitgehend entgegengekommen. Noch 1867 trat der „Ausgleich“ in Kraft. Die westliche Reichshälfte hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Verfassung und daher auch keinen Reichsrat. Der Nationalitätenstreit Der Wiener Hof hatte durch sein Nachgeben den Ungarn gegenüber vor allem die Einheit der Monarchie erhalten wollen. Die übrigen Volksgruppen waren jedoch leer ausgegangen. Sie waren deshalb schwer enttäuscht. Sie wünschten sich eine ähnliche Regelung, wie sie Ungarn zugestanden worden war. Diesbezügliche Versuche wurden in den nächsten Jahr- zehnten meist schon in ihren Ansätzen von deutschna- tionalen und magyarischen Kräften vereitelt. Diese fürchteten nämlich den Verlust ihrer Vorrangstellung. So entwickelten sich die Emanzipationsbestrebungen der Nationalitäten sehr schnell zu einem Kampf um die Macht im Staat. Diese Auseinandersetzung mündete schließlich in einen Kampf der Nationalitäten unterein- ander und gegen den Staat. Die zentrifugalen Kräfte im Vielvölkerstaat – verstärkt durch die allgemeine Tendenz zum Nationalismus – tra- ten in den letzten Jahrzehnten der Habsburgerherr- schaft immer stärker hervor: 166 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum d s Verlags öbv

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