Zeitbilder 6, Schulbuch

Die Inhalte in diesem Abschnitt dienen dazu, Historische Sach- kompetenz zu entwickeln. Das heißt, es sollen Darstellungen der Vergangenheit sowie historische Quellen mit vorhandenem Sach- wissen verbunden werden. Sachkompetent wird man dann, wenn das erworbene Wissen eingeordnet, mit anderem Wissen vergli- chen und bei historischen Aufgabenstellungen angewendet wer- den kann. Dabei ist die Wahrnehmung wichtig, dass sich die Vergangenheit nie vollständig rekonstruieren lässt. Geschichte ist daher eine Konstruktion, sie ist bruchstückhaft und nie ganz ob- jektiv, weil sie von Menschen „gemacht“ wurde. Umso wichtiger ist die Ausbildung der Fähigkeit, die Konstruktivität von Geschich- te zu erkennen und Geschichtsdarstellungen zu dekonstruieren. Auf dieser Doppelseite kannst du Sachkompetenz trainieren, indem du am Thema „Aufgeklärter Absolutismus: Maria There- sia und Joseph II.“ analysierst, inwiefern Geschichte eine Kon- struktion der Vergangenheit ist. M1 Caspar von Zumbusch: Denkmal Maria Theresias, Wien (Burgring/Maria-Theresien-Platz), 1888 von Kaiser Franz Joseph enthüllt: Zu Füßen Maria Theresias scharen sich die „Stützen des Throns“, 24 Männer aus den Bereichen Innen- und Außenpolitik, Kunst und Kultur, Militär und Verwaltung. (Foto, 2014) M2 Der preußische Gesandte Heinrich Graf Podewils berichtete 1747 über Maria Theresia: Die Art und Weise, in welcher die Kaiserin mit den Leuten verkehrt, ist so einnehmend, daß sie auch die Schüchternsten ermutigt. Ihre an und für sich ungezwungene und zuvorkommende Umgangs- weise bringt einen noch tieferen Eindruck hervor, M 3. Aufgeklärter Absolutismus: Maria Theresia und Joseph II. weil dieselben seit langer Zeit daran gewohnt waren, stolzes und hochfahrendes Wesen für unzertrennlich anzusehen von der Majestät. Die Kaiserin spricht gut und drückt sich mit Anmut aus, manchmal scheint es jedoch, als ob sie sich selbst nicht ungern reden hörte. Mit Geduld und Güte hört sie, was man ihr vorträgt, und sie übernimmt selbst die Bittschriften, die man an sie richtet […]. Sie trägt keine Sorge für ihre Schön- heit und setzt sich ohne Schonung den Unbilden der Witterung aus. Sie verwendet keine Aufmerksamkeit auf ihren Anzug, mit Ausnahme der Galatage ist sie, mit ihr der ganze Hof, sehr einfach gekleidet. (Zit. nach: Kleindel: Österreich. Daten zur Geschichte und Kultur, in: Netzwerk Geschichte 6, S. 41) M3 Der österreichische Historiker Stephan Gruber über Maria Theresia (2010): Maria Theresias aufgeklärter Absolutismus ge- nießt heute fast uneingeschränkte Sympathie. Dem Bild einer liebevollen, dem Allgemeinwohl ver- pflichteten Landesmutter ist aber entgegenzuhalten, dass ihr Denken und Wirken sehr konservativ und kei- neswegs fortschrittlich war: Sie fühlte sich wie ihre Vorgänger und Nachfolger von Gottes Gnaden einge- setzt, empfand die Schriften der Aufklärer als „ekel- haft“ und brachte immer wieder antijüdische und an- tiprotestantische Ressentiments […] zum Ausdruck – mit handfesten Folgen wie die Aussiedlung der Pro- testantInnen. […] Maria Theresias Reformen hatten bleibende Wirkung: Die Rechts- und Verwaltungsre- formen gelten als modern, weil sie die Grundlagen eines Verwaltungsstaates schufen. Eigenverantwor- tung und demokratisches Denken wurden in diesem Überwachungsstaat frühzeitig erstickt. Die Reformen in Kirche, Justiz und vor allem im Bildungswesen ge- hören heute in positiver Beurteilung zur allgemeinen Schulbildung, fast alle österreichischen Kinder lernen und wissen, dass Maria Theresia die „Schulpflicht“ eingeführt hat. Genau genommen handelt es sich da- bei bis heute um eine „Unterrichtspflicht“, die nicht unbedingt in einer Schule erfüllt werden muss. Diese Reformen waren keineswegs dafür ausgelegt, mündi- ge Staatsbürger heranzuziehen: In der Schule sollten die Zöglinge auf ihre Untertänigkeit gegenüber Gott und den HerrscherInnen vorbereitet werden. Auch die Aufhebung der Folter 1776 ist nicht als Folge der humanitären Gesinnung Maria Theresias zu werten, sondern geschah trotz ihrer Bedenken. […] Maria The- resias Leben und Wirken als Herrscherin wird zumeist völlig positiv beurteilt. Ihre intoleranten Einstellun- gen und Maßnahmen werden dagegen als zeitbedingt abgetan. Eine solche Darstellung übersieht, dass hin- ter ihrer Fürsorge machtpolitische und wirtschaftliche Interessen standen. „Groß“ gemacht wurde Maria Theresia durch verherrlichende Propaganda, die sie als Heldin weiter bestehen lässt – das monumentale Denkmal in Wien ist das Paradebeispiel dafür.“ (Gruber, Herrschafts.Zeiten VI, Die „große Reformerin“ Maria Theresia. In: Die Welt der Habsburger, online, 2010) 162 Kompetenztraining Historische Sachkompetenz Geschichte als Konstruktion der Vergangenheit wahrnehmen (Konstruktivität) Nur zu Prüfzwecken D – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=