Zeitbilder 6, Schulbuch

Die Arbeitsaufträge in diesem Kapitel dienen dazu, Historische Orientierungskompetenz weiterzuentwickeln. Die anhand des Themas „Der Erste Weltkrieg und seine Folgen“ gewonnenen historischen Informationen sollen die Bereitschaft fördern, die- se Einsichten über ein komplexes historisches Geschehen zur (individuellen) Orientierung für mögliches Handeln in Gegen- wart und Zukunft zu nutzen. M1 Der deutsche Generalstabchef Moltke über die Entwicklung des Krieges (1914): „Dieser Krieg wird sich zu einem Weltkrieg aus- wachsen, in den auch England eingreifen wird. Nur Wenige können sich eine Vorstellung über den Umfang, die Dauer und das Ende dieses Krieges ma- chen. Wie das alles enden soll, ahnt heute niemand.“ Mit diesen Worten brachte der deutsche Generalstabs- chef Helmuth von Moltke in der Nacht auf den 31. Juli 1914 gegenüber seinem Adjutanten bereits unmittel- bar vor dem Kriegsausbruch zum Ausdruck, dass er den bevorstehenden Konflikt von vornherein als Welt- krieg betrachtete. (Zit. nach: Förster, Vom europäischen Krieg zum Weltkrieg. In: Enzyklo- pädie Erster Weltkrieg, hg. v. Hirschfeld, Krumeich, Renz, 2003, S. 242) M2 Der Historiker Stig Förster charakterisiert die globale Dimension des Ersten Weltkrieges: Die sich im Zuge des europäischen Imperialis- mus herausbildende Weltgesellschaft schuf […] die Voraussetzung für die Möglichkeit von Weltkrie- gen, […] wobei außereuropäische Mächte maßgeblich an den kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt waren. Ausgangspunkt […] blieb aber das Zentrum des Globalisierungsprozesses: Europa […]. Das seit dem Jahre 1902 mit Großbritannien verbün- dete Japan trat sofort in den Krieg ein. […] Blieb die Rolle Japans im Weltkrieg eher marginal, so kam dem Kriegseintritt des Osmanischen Reiches eine im- mense Bedeutung zu. Hierbei handelte es sich seit 1912/13 um ein Imperium, dessen Territorium seit 1912/13 fast gänzlich außerhalb Europas lag. Das Reich griff am 29. Oktober 1914 offiziell an der Seite der Mittelmächte in den Krieg ein […]. Ziel osmani- scher Eroberungsträume war die Schaffung eines pantürkischen Reiches auf Kosten Russlands […]. Als entscheidend […] erwies sich aber zweifellos die Rol- le der USA […]. Mit dem durch das aggressive deut- sche Vorgehen [= unbeschränkter U-Boot-Krieg] pro- vozierten Kriegseintritt im Jahre 1917 verschoben sich die Gewichte endgültig […]. Eine neue außereu- ropäische Macht griff in die Kämpfe ein, und zwar eine Großmacht, die eigenständige Ziele und Inter- essen verfolgte […]. (Förster, Vom europäischen Krieg zum Weltkrieg. In: Enzyklopädie Ers- ter Weltkrieg, hg. v. Hirschfeld, Krumeich, Renz, 2003, S. 243–247) 24. Der Erste Weltkrieg und seine Folgen M 3 Der Krieg hatte enorme finanzielle Folgen: Als Folge des Krieges explodierte überall die öf- fentliche Schuld. Deutschland stand am Ende des Krieges vor einem Schuldenberg in Höhe von 156 Milliarden Mark (1914: 5,4 Milliarden); in Großbritan- nien waren es 5,8 Milliarden Pfund (1914: 0,6 Milliar- den). Die französische Staatsschuld hatte um 130 Mil- liarden Francs, die amerikanische um 24 Milliarden Dollar zugenommen. Verzinsung und Tilgung belas- teten […] die Nachkriegszeit […]. […] Sicher ist jedoch, dass der Krieg die Gewichte innerhalb der Weltwirtschaft weiter zu Lasten der eu- ropäischen Staaten, vor allem Großbritanniens und Frankreichs, sowie zugunsten vor allem der USA und Japans verschob. (Ullmann, Kriegswirtschaft. In: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hg. v. Hirschfeld, Krumeich, Renz, 2003, S. 229–231) M4 Der Erste Weltkrieg hatte weitreichende Folgen für die Staatenwelt Europas: Die Pariser Verträge von 1919/20 beendeten den Ersten Weltkrieg und besiegelten die Auflösung des deutschen Kaiser- und des russischen Zarenrei- ches. Die Doppelmonarchie der Habsburger zerfiel in die Staaten Österreich, Ungarn, Tschechoslowakei und das Königreich der Serben, Kroaten und Slowe- nen, das sich 1929 in Königreich Jugoslawien umbe- nannte. Gemäß dem Lausanner Vertrag von 1923 schrumpfte das osmanische Territorium auf das Ge- biet des türkischen Nationalstaates, der nur noch Anatolien und Ostthrakien umfasste. Noch wenige Jahrzehnte zuvor hatte es sich über den größten Teil des östlichen Mittelmeeres, die Adria hinaus bis an die Grenzen Kroatiens und in Nordafrika bis Tunis erstreckt […]. Auf die Auflösung des osmanischen Reiches folgte eine Welle von Massakern, Vertreibun- gen und Zwangsumsiedlungen mit Millionen von Op- fern, unter ihnen vor allem Armenier, Kurden, Grie- chen, Türken und orthodoxe Bulgaren. (Atlas der Globalisierung. Das 20. Jahrhundert, Berlin 2010, S. 14) M5 Die Folgen der „Industrialisierung des Tötens“: Das Massensterben traf freilich Sieger und Be- siegte gleichermaßen. So schwerwiegend die Schäden und Kosten der Materialschlachten auch wa- ren, das eigentliche Drama dieses Krieges drückt sich in den bis dahin beispiellosen Zahlen der getöteten Menschen aus […]. Nach neuesten Berechnungen […] setzten die Kriegsparteien insgesamt 66 251 000 Soldaten ein (Entente: 41 851 000, Mittelmächte: 24 400 000), von denen 8 846 000 Soldaten fielen (Ent- ente: 5 296 000; Mittelmächte: 3 550 000). Vermutlich mehr als doppelt so hoch war die Zahl von Verwunde- ten, von denen viele ihr Leben lang versehrt und ge- 3 M4 M5 150 Kompetenztraining Historische Orientierungskompetenz Erkenntnisse von eigenen Darstellungen der Vergangenheit sowie von Darstellungen anderer zur individuellen Orientierung (hinsichtlich der Bewertung der Vergangenheit und möglicher Handlungsoptionen) in der Gegenwart und Zukunft nutzen Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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