Zeitbilder 6, Schulbuch

20. Krisen vor dem Krieg Krisenzonen der Weltpolitik Eine Krisenzone bildete Marokko. Hier drohte bereits im Frühsommer 1911 auf Grund deutsch-französischer Ge- gensätze ein Krieg, nachdem das deutsche Kanonenboot „Panther“ vor Agadir aufgekreuzt war. Ein Abkommen konnte den Konflikt entschärfen. Allerdings verstärkten Frankreich und Großbritannien ihre Zusammenarbeit, wie sie schon in der „Entente Cordiale“ von 1904 be- schlossen worden war. Vor allem die Generalstäbe bei- der Staaten trafen zusammen und stimmten ihre strate- gischen Planungen aufeinander ab. Eine besondere Krisenregion stellte aber der Balkan dar. Hier forderten Slawen und Albaner ihre Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich bzw. die Vergrößerung ihres Staatsgebietes. So verfolgte z. B. Serbien, gestützt auf Russland, den Plan eines großserbischen Reiches. Am Balkan prallten aber auch die Interessen der Regierun- gen Russlands, Österreichs und des Osmanischen Rei- ches unmittelbar aufeinander. Im Sinne des Panslawis- mus betrachtete sich Russland als Führungs- und Schutzmacht der slawischen Völker. Verbunden mit dem Panslawismus waren aber auch machtpolitische Interessen Russlands, die auf die Be- herrschung der Meerengen zwischen dem Schwarzen und Mittelmeer gerichtet waren. Jede Veränderung des Status quo im östlichen Mittelmeer stieß aber auf den Widerstand der britischen Regierung. Nach einem Vor- stoß Russlands in das von inneren Krisen geschwächte Osmanische Reich trat der deutsche Reichskanzler Bis- marck als Vermittler auf. 1878 fand in Berlin ein Kon- gress statt, auf dem die Großmächte nochmals einen Ausgleich ihrer Interessen herstellen konnten. Unter anderem wurde beschlossen, Bosnien und Herzegowina der Verwaltung Österreichs zu unterstellen. Die Lage am Balkan blieb allerdings gespannt. Italien beanspruchte Gebiete an der dalmatinischen Küste. Deutschland hatte enge Verbindungen zum Osmani- schen Reich, wo deutsche Firmen und Banken tätig wa- ren. Das Osmanische Reich selbst war durch innere Kri- sen geschwächt. Dies nützte Österreich aus und annek- tierte 1908 Bosnien und Herzegowina mit seinem großen serbischen Bevölkerungsanteil. Aus dieser Annexion entstand eine schwere internationale Krise, doch kam es noch zu keinem Krieg. Anton von Werner (1843–1915), Der Kongress zu Berlin. Gemälde, 1881. Der Berliner Kongress fand vom 13. Juni bis 13. Juli 1878 statt. Olaf Gulbransson (1873–1958), Agadir – „Onkel Bull, bitte lass den bösen Buben nicht mitspielen.“ Karikatur aus „Simplicissimus“, 31.7. 1911, 16. Jg., Heft 18. Karikatur zur Krise um Marokko 1911: Frankreich und Spanien (im Bild rechts) beschweren sich bei England über Deutschland, das ihnen mit einem Kanonenboot im „marokkanischen Teich“ in die Quere kommt. Beschreibe die figürliche Darstellung der einzelnen Mäch- te hinsichtlich ihrer Stereotypen. Dekonstruiere diese Darstellungsweise. Erörtere dabei auch die zum Ausdruck gebrachte eurozentrische Perspektive. 1912 führten Serbien, Bulgarien, Montenegro und Grie- chenland den 1. Balkankrieg gegen das Osmanische Reich. Er hatte eine weitere Verkleinerung des osma- nisch beherrschten Territoriums auf dem europäischen Festland zur Folge. Uneinigkeit der Sieger führte wenig später zum 2. Balkankrieg. Die Großmächte griffen in diesen Konflikt nicht aktiv ein, doch konnte eine direkte militärische Konfrontation zwischen Österreich und Russland nur mühsam vermieden werden. Julikrise und Kriegsausbruch Am 28. Juni 1914 wurden der österreichische Thronfol- ger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie in Sarajewo von einem serbischen Nationalisten er- schossen. In dem daraus entstehenden österreichisch- serbischen Konflikt sicherte die deutsche Regierung Ös- terreich die volle Unterstützung zu. Gleichzeitig war man davon überzeugt, dass im Falle eines Krieges Russ- land sich an die Seite Serbiens stellen würde. Am 23. Juli 1914 richtete Österreich an Serbien ein Ultimatum und forderte die Beteiligung Österreichs an der Untersu- chung des Attentats. Serbien lehnte dieses Ultimatum jedoch ab. Am 28. Juli 1914 erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Innerhalb weniger Tage wurde aus dem „begrenzten Krieg“ zwischen Österreich-Ungarn und Serbien ein „europäischer“. 142 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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