Zeitbilder 6, Schulbuch

sich das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl an einer politischen und rechtlichen Organisationsform: dem Staat. Der moderne Staat ist schließlich nichts anderes als ein Verband von Personen, die auf einem bestimmten Gebiet einer gemeinsamen Rechtsord- nung angehören. […] Nationale Gemeinschaften entstehen vor allem da- durch, dass Menschen an sie glauben. Die Nation ist, wie es der amerikanische Wissenschafter Benedict Anderson ausgedrückt hat, eine „erdachte Gemein- schaft“. „Erdacht ist sie deswegen, weil die Mitglie- der selbst der kleinsten Nation die meisten anderen niemals kennen, ihnen begegnen oder auch nur von ihnen hören werden, aber im Kopf eines jeden die Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert.“ (Nonn, Das 19. und 20. Jahrhundert. Orientierung Geschichte, 2007, S. 193–196) M4 Der Zeithistoriker Eduard Staudinger betont eine „subjektive“ und eine „objektive“ Sichtweise von Nation: „Nation“ und „Nationalismus“ zählen zu den viel- deutigsten Begriffen, die es im politischen und wissenschaftlichen Sprachgebrauch gibt […]. Ein Be- griff von „Nation“, der gemeinsame Sprache, Ge- schichte, Herkommen, Kultur oder Religion hervor- hebt, versucht „Nation“ unabhängig vom Willen der einzelnen Menschen auf Grundlage gemeinsamer Merkmale zu bestimmen. Dem steht ein Nationsbegriff gegenüber, der das Bekenntnis, zu einer Nation zu ge- hören, in den Vordergrund stellt. Hier ist die Willens- entscheidung von entscheidender Bedeutung. Man kann daher von einem „objektiv“ und einem „subjek- tiv“ bestimmten Nationsbegriff sprechen. Welcher Na- tionsbegriff allerdings jeweils verwendet wird, zeigt sich meist erst im konkreten Zusammenhang. Nicht selten überschneiden sich die beiden Begriffe. (Zit. nach: Zeitbilder Bd. 7. Vom Beginn des Industriezeitalters bis zum Zweiten Weltkrieg, 1999, S. 37) Karikatur: Kostas Koufogiorgos, „Eurozone“/ toonpool.com M5 Der Historiker Christoph Nonn schreibt über die Renaissance des Nationalismus in Osteuropa: Am Ende des 20. Jahrhunderts feierte der Natio- nalismus zumindest in Osteuropa seine lautstar- ke Auferstehung. Mit dem Ende des Kommunismus und dem Zerfall des Ostblocks lösten sich die Sowjet- union, Jugoslawien und die Tschechoslowakei auf, und eine ganze Reihe von unabhängigen Staaten ent- stand neu. […] Alle diese Staaten konstruierten aber gleichermaßen eifrig Nationalgeschichten und kollektive Identitäten. Und nicht wenige von ihnen konstruierten auch „Erb- feinde“, die es zu bekämpfen und deren „Volk“ es von eigenen und benachbarten Territorien zu vertrei- ben und zu „säubern“ galt. (Nonn, Das 19. und 20. Jahrhundert. Orientierung Geschichte, 2007, S. 230–231) Fragen und Arbeitsaufträge 1. Lies die Quelle M1 und die Darstellung M2 aufmerksam durch. Arbeite die in beiden Texten vorkommenden Schlüsselbe- griffe in Bezug auf „Nation“ heraus und unterstreiche sie. 2. Vergleiche diese Begriffe, wie sie Renan verwendet, damit, wie sie der Historiker Langewiesche in seiner Darstellung gebraucht und interpretiert. 3. Arbeite jene Textstellen bei Langewiesche heraus, in denen er sich zu den Aussagen von Renan zustimmend äußert. 4. Arbeite jene Textstellen von Langewiesche heraus, in denen er Kritik am Konzept von Renan übt. Nimm dazu Stellung. 5. Benenne unter Einbeziehung deiner Erkenntnisse von A1 bis A4 die in M3 und M4 vorgestellten möglichen und häufig genannten Merkmale für „Nation“. Unterstreiche diese und versuche, Unterschiede im Ver- ständnis von „Nation“ zu erkennen. 6. Benenne das in der Karikatur M5 dargestellte Thema. Beschreibe, wie diese Thematik bildhaft und textlich veran- schaulicht wird. Arbeite heraus, welche politische Aussage man in der Kari- katur erkennen kann. Nimm dazu Stellung, wie die Karikatur mit ihren Aussagen auf dich persönlich wirkt. 7. Arbeite heraus, welche Befürchtungen in der Textstelle M6 hinsichtlich neuer Nationalismen zum Ausdruck gebracht werden. Diskutiert dies auch anhand aktueller Vorkommnisse in Europa. M6 Von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg 139 Nu r zu Prüfz ecken – Eigentum des Verlags öbv

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