Zeitbilder 6, Schulbuch

14. Politischer und wirtschaftlicher Liberalismus Liberale Forderungen Der Liberalismus war geprägt durch die Forderungen nach Grundrechten, Verfassung, Gewaltenteilung, ge- wählter Volksvertretung und Rechtsstaat. Zu den Grundrechten gehörten Meinungs-, Rede- und Presse- freiheit. Dies richtete sich gegen die Zensur, wie sie in Obrigkeitsstaaten vorherrschte. Verlangt wurden aber auch Vereins- und Versamm- lungsfreiheit sowie Schutz vor willkürlicher Verhaftung. Religion galt den Liberalen als Privatsache. Sie traten daher für die Trennung von Kirche und Staat ein. Ein besonderer Stellenwert kam dem Eigentum zu. In ihm sahen die Liberalen die Grundlage des materiellen und sozialen Wohles. Daher sollte das Eigentum ebenso ge- schützt werden wie die persönlichen Freiheiten. Träger des Liberalismus war das Bürgertum, das seine Gleichberechtigung gegenüber dem Adel anstrebte. Was das Bürgertum für sich beanspruchte, gestand es anderen sozialen Gruppen jedoch nicht zu. Dies wurde besonders deutlich, als auch die Arbeiterschaft Forde- rungen nach Gleichberechtigung erhob. Höhepunkt und Krise des Liberalismus Nach der Niederschlagung der Revolutionen von 1848/49 suchten die herrschenden Kräfte und das wirt- schaftlich aufstrebende Bürgertum nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Gemeinsame Interessen von Staatsmacht und Bürger- tum lagen vor allem in der Wirtschafts- und Außenpoli- tik. Um 1860 schlossen die Regierungen Großbritan- niens, Frankreichs und Preußens Freihandelsverträge ab. Zölle, die bisher die Wirtschaft vor ausländischer Konkurrenz schützten, wurden gesenkt oder aufgeho- ben. Auch rechtliche Barrieren im Bereich der Wirtschaft fie- len. Davon profitierte u. a. ein aufstrebendes Banken- und Aktienwesen. Das Verkehrswesen, insbesondere die Eisenbahnen, er- lebte ebenfalls einen lebhaften Aufschwung: L Die Möglichkeiten des Marktes schienen uner- schöpflich. Die wachsenden Bedürfnisse und die zunehmende Konsumkraft der breiten Massen schie- nen Aussichten fast ohne Horizontbegrenzung zu er- öffnen. In der Atmosphäre rasch und allgemein an- steigenden Wohlstandes würden, so hoffte man in den Kreisen des liberalen Bürgertums, die Gegensät- ze und Konflikte in der jeweiligen Gesellschaft schon bald zurücktreten. (Gall, Europa auf dem Weg in die Moderne 1850–1890, 1997, S. 23) In dieser Zeit entwickelte sich der Liberalismus in vielen europäischen Staaten auch als politische Kraft. Parla- mente – nach jeweils unterschiedlichen Wahlrechten gewählt – gewannen im politischen Leben an Bedeu- tung. Liberale Parteien formierten sich. Auch Österreich erlebte in den Sechzigerjahren des 19. Jh seine „liberale Ära“. Anonym. Karikatur, 1819. Eine Karikatur aus dem Jahr 1819 symbolisiert die Knebelung und Be- drohung des Menschen durch die alte Ordnung, die der Liberalismus überwinden möchte. (Vgl. dazu den Arbeitsauftrag auf S. 105.) Die Liberalen wollten in Wirtschaft und Gesellschaft so wenig Staatseingriffe wie möglich. Sie waren der Mei- nung, dass die Gleichheit vor dem Gesetz den Einzelnen ausreichend schützte. Diese Haltung wurde von der jun- gen sozialdemokratischen Arbeiterbewegung heftig kri- tisiert. Sie verlangte gesetzliche Maßnahmen des Staates zum Schutz der sozial Schwachen. Gegensätze bestanden aber auch zu den Konservativen, die andere Vorstellun- gen einer Staats- und Gesellschaftsordnung hatten und auch die Zurückdrängung der Kirche durch die Liberalen bekämpften. Wie die Arbeiterbewegung entwickelte sich die katholisch-konservative Kraft rasch zu einem eigen- ständigen politischen Faktor. Beide traten zunehmend in Konkurrenz zum Liberalismus. Die Krise des Liberalismus setzte ein, als 1873 die Wirtschaftskonjunktur zusammen- brach. Auf die „Gründerjahre“ folgte die „Gründerkrise“. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Listet die Forderungen des Liberalismus auf und veran- schaulicht sie jeweils an einem Beispiel. Diskutiert ihre Aktualität. 2. Stelle Zusammenhänge her zwischen wirtschaftlichen An- sichten des Liberalismus und neuen Orientierungen in der Wirtschaft. Stelle Bezüge zur Gegenwart her. 128 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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