Zeitbilder 6, Schulbuch

Q Genießet, was euch beschieden ist. Nach getaner Arbeit verbleibt im Kreis der Eurigen, bei den El- tern, bei der Frau und den Kindern und sinnt über Haushalt und Erziehung. Das sei eure Politik, dabei werdet Ihr frohe Stunden erleben […] Höhere Politik treiben erfordert mehr freie Zeit und Einblick in die Verhältnisse, als dem Arbeiter verliehen ist […]. Das Politisieren in der Kneipe ist nebenbei sehr teuer, da- für kann man im Hause Besseres haben. (Berdrow, Alfred Krupps Briefe 1826–1887, Berlin, 1928, 348; in: Schmid, Fragen an die Geschichte, Bd. 3., 1981, S. 183) Unternehmer fordern Treue, Fleiß, Disziplin Die Industriellen Alfred Krupp und Carl Stumm gewähr- ten ihren Betriebsangehörigen für die damalige Zeit vor- bildliche Sozialleistungen und vergleichsweise guten, d. h. über dem Existenzminimum liegenden Lohn. Im Unternehmen von Carl Stumm gab es beispielsweise eine Betriebsschule für Kinder und Lehrlinge, eine Bi- bliothek, ein Kranken- und Waisenhaus, billige Betriebs- wohnungen und Werkskantinen, Kranken-, Invaliden-, Witwen- und Waisenrenten. Dafür aber erwartete er sich Treue und Unterordnung, Fleiß und absolute Disziplin, Zufriedenheit und vorbildliches Benehmen – auch au- ßerhalb des Betriebes: Q Ein Arbeiter, der sich außerhalb eines Betriebes einem liederlichen Lebenswandel hingibt, wird auch in dem Betriebe nichts leisten können. […] Wer in dieser Beziehung meinen Anforderungen nicht entspricht, wird zunächst verwarnt, und, wenn das nicht hilft, wird ihm gekündigt werden. […] (Hellwig, Carl Ferdinand Freiherr v. Stumm-Halberg, S. 301 ff.; in: Schmid, Fragen an die Geschichte, Bd. 3, 1981, S. 184) Beurteile die Einstellung und das Verhalten dieser Unter- nehmer, inwiefern sich ihre Forderungen aus damaliger bzw. heutiger Sicht rechtfertigen lassen. Recherchiere die wichtigsten Rechte und Pflichten der heutigen Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmer (z. B. https://www.arbeiter- kammer.at ). Auch die Kirche sucht nach Lösungen Lange Zeit nahm die katholische Kirche an der „Sozialen Frage“ keinen Anteil. Sie sah den Obrigkeitsstaat mit sei- ner politischen und sozialen Ungleichheit als Teil einer göttlichen Weltordnung. Doch dieses Bündnis mit den herrschenden konservativen und besitzenden Volks- schichten führte zur Abkehr vieler Arbeiterinnen und Arbeiter von der Kirche. Denn sie trat weder gegen den grenzenlosen Kapitalismus auf, noch kümmerte sie sich um die verelendeten Massen (Karl Marx: „Religion ist Opium des Volkes“). Erst um die Mitte des 19. Jh. nah- men sich einzelne Priester, wie z. B. der Kölner Kaplan Kolping, der „Sozialen Frage“ an. Der frühere Schuster- geselle gründete katholische Gesellenvereine („Kolping- familien“), die sich bald in vielen Orten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz ausbreiteten und in eigenen Häusern jungen Handwerkern Unterkunft boten. Bald wurden Kirchenmänner auch politisch aktiv: Der adelige Mainzer Bischof von Ketteler und der in Österreich tätige Freiherr von Vogelsang gründeten christliche Arbeiterbe- wegungen. Sie sollten einen Gegenpol zu Marxismus und Liberalismus bilden. Papst Leo XIII. nahm im Jahre 1891 als erstes Kirchenoberhaupt zur Arbeiterfrage in einer Enzyklika („Rerum novarum“) Stellung. Über die Pflich- ten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern heißt es dort: Q Von diesen (christlichen) Pflichten schärft sie folgen- de den arbeitenden Ständen ein: vollständig und treu die Arbeitsleistung verrichten […], den Arbeitsher- ren weder an der Habe noch an der Person Schaden zu- zufügen; in der Wahrung ihrer Rechte sich der Gewalttä- tigkeit zu enthalten und in keinem Falle Auflehnung zu stiften; nicht Verbindung zu halten mit schlechten Men- schen, die ihnen trügerische Hoffnungen vorspiegeln […]. Die Pflichten, die sie hinwieder den Besitzenden […] einschärft: Die Arbeiter dürfen nicht wie Sklaven ange- sehen und behandelt werden; ihre persönliche Würde […] werde stets heilig gehalten […]. Vor allem aber ist es Pflicht des Arbeitsherrn, den Grundsatz: „Jedem das Sei- ne“ stets vor Augen zu behalten. Dieser Grundsatz sollte […] auf die Höhe des Lohnes Anwendung finden. (Rerum Novarum, 1891) Klare Stellung bezog Papst Leo XIII. in dieser Schrift auch zur marxistischen Lehre: Q Mit dem Wegfall des Spornes für Strebsamkeit und Fleiß würden auch die Quellen der Wohlha- benheit versiegen. Aus der eingebildeten Gleichheit aller würde nichts anderes als der nämliche klägliche Zustand der Entwürdigung für alle. – Aus alledem er- gibt sich klar die Verwerflichkeit der sozialistischen Grundlehre, wonach der Staat allen Privatbesitz ein- ziehen und zu öffentlichem Gute machen würde. Eine solche Theorie gereicht den arbeitenden Klassen […] lediglich zu schwerem Schaden […]. Bei allen Versu- chen zur Abhilfe gegenüber den gegenwärtigen so- zialen Missständen ist […] festzuhalten, dass das Pri- vateigentum unantastbar und heilig sei. (Rerum Novarum, 1891) Zähle die Pflichten auf, die Papst Leo XIII. den Arbeitge- bern und Arbeitnehmern überträgt, und beurteile die vorgenommene Aufteilung. Skizziere die Hauptkritik des Papstes an der „sozialisti- schen Grundlehre“. Beurteile seine Haltung. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Recherchiere im Internet und in Lexika die Biografie von Marx und Engels und präsentiere sie in der Klasse. 2. Schildere, welche Bedeutung Gewerkschaften heute haben. Macht dazu eine Umfrage unter euren Lehrerinnen und Lehrern, Eltern, Großeltern usw. Wertet die Ergebnisse aus und präsentiert sie in geeigneter Form in der Klasse (als Wandzeitung, Schautafel, Powerpoint etc.). Von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg 123 N ur zu Prüfzw cke – Eigentum des Verlags öbv

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