Zeitbilder 6, Schulbuch

Die Materialien auf dieser Doppelseite dienen dazu, die His- torische Methodenkompetenz weiterzuentwickeln. Du sollst hier lernen, Darstellungen und Quellen mit ihren jeweils typi- schen Merkmalen zu erkennen und zu unterscheiden. Diese Teilkompetenzen sind wichtige Voraussetzungen dafür, schriftliche Quellen zu entschlüsseln (= zu dekonstruieren) und darauf aufbauend historische Ereignisse eigenständig darzustellen (= zu rekonstruieren). Als Ludwig XVI. 1788 die Generalstände einberief, wurden bei den Wahlen der Ständevertreter Beschwerdehefte verfasst, die Einblicke in die Stimmungslage der Bevölkerung geben. Die Einwohnerinnen und Einwohner des Dorfes Guyancourt forderten: 1. Dass alle Steuern von den drei Ständen ohne irgendwelche Ausnahmen gezahlt werden, von jedem Stand gemäß seinen Kräften; 2. das gleiche Gesetz und Recht im ganzen König- reich; […] 5. die völlige Beseitigung jeglicher Art von Zehnten in Naturalien; […] 8. dass die Eigentumsrechte heilig und unverletzlich sind; 9. dass rascher und mit weniger Parteilichkeit Recht gesprochen wird; 10. dass alle Frondienste, welcher Art sie auch sein mögen, beseitigt werden; 11. dass die Einziehung zum Heeresdienst nur in den dringenden Fällen erfolgt […] 17. dass alle Pfarrer verpflichtet sind, alle ihre Amts- pflichten zu erfüllen, ohne dafür irgendwelche Bezahlung zu fordern; […] (Zit. nach: Hartig, Die Französische Revolution, 1985, S. 34 f.) M2 Jean Antoine de Condorcet (1743–1794), Mitglied der Nationalversammlung, veröffentlichte 1789 einen Text über die Zulassung der Frauen zum Bürgerrecht: Haben sie (die Philosophen und Gesetzgeber) nicht alle das Gleichheitsprinzip der Rechte ver- letzt, indem sie ganz einfach die Hälfte des Men- schengeschlechts des Rechts beraubten, an der Ge- setzgebung teilzunehmen, indem sie die Frauen vom Bürgerrecht ausschlossen? […] Da nun Frauen die gleichen Fähigkeiten aufweisen, haben sie notwendi- gerweise auch die gleichen Rechte. Entweder hat kein Glied des Menschengeschlechts wirkliche Rech- te, oder sie alle haben die gleichen, und derjenige, der gegen das Recht eines anderen stimmt, mag er auch einer anderen Religion, einer anderen Hautfar- be oder dem anderen Geschlecht angehören, hat da- mit seine Rechte verwirkt. Es dürfte schwer sein zu beweisen, dass Frauen unfähig sind, das Bürgerrecht auszuüben […]. Es ist eigenartig genug, dass man in vielen Ländern Frauen für unfähig gehalten hat, ein öffentliches Amt zu bekleiden, nicht aber, den Kö- nigsthron zu besteigen; dass in Frankreich eine Frau M1 7. Von der Französischen Revolution zur Neuordnung Europas Regentin, aber bis 1776 in Paris nicht Modehändlerin sein konnte. (Zit. nach: Schröder (Hg.), Die Frau ist frei geboren. Texte zur Frauen- emanzipation. Band I: 1789–1870, 1979, S. 55 ff.) M3 Der von den Jakobinern beherrschte Nationalkonvent beschloss am 30. Oktober 1793 das Verbot der Frauenclubs: 1. Dürfen Frauen politische Rechte ausüben und sich in Regierungsangelegenheiten einmischen? Regieren heißt, die öffentlichen Angelegenheiten durch Gesetze zu lenken, deren Abfassung ausge- dehnte Kenntnisse […] verlangt. Regieren heißt dar- über hinaus, die Handlungsweise der gewählten Ver- treter zu lenken und zu berichtigen. Sind die Frauen für diese Bedürfnisse und Fähigkeiten, die sie erfor- dern, geeignet? Man kann ganz allgemein mit Nein antworten […]. Besitzen die Frauen die moralische und physische Kraft, die die Ausübung des einen wie des anderen dieser Rechte erfordert? Weltweit wird diese Auffassung verworfen. 2. Dürfen sich die Frauen in politischen Vereinigun- gen versammeln? […] Können sich Frauen diesen nützlichen und mühseligen Aufgaben hingeben? Nein, weil sie dann gezwungen wären, wichtigere Aufgaben, zu denen die Natur sie ruft, dem zu opfern. Diese häuslichen Aufgaben, zu denen Frauen von Natur aus bestimmt sind, gehören selbst zur allgemei- nen Ordnung der Gesellschaft […]. Erlaubt es die Sitt- samkeit einer Frau, sich in der Öffentlichkeit zu zei- gen und gemeinsam mit den Männern zu kämpfen, im Angesicht des Volkes über Fragen zu diskutieren, von denen das Wohl der Republik abhängt? Im Allge- meinen sind Frauen kaum zu hohen Vorstellungen und ernsthaftem Nachdenken fähig […]. Wir glauben also, dass eine Frau nicht ihre Familie verlassen darf, um sich in Regierungsgeschäfte einzumischen. (Zit. nach: Petersen, Marktweiber und Amazonen. Frauen in der Fran- zösischen Revolution, 1987, S. 221 ff.) M4 Der deutsche Historiker Christoph Nonn über das Nachwirken der Französischen Revolution (2007): Viele Neuerungen der französischen Revolution blieben auch nach 1815 erhalten und wirkten weiter. Zwar hatte schon Napoleon manche revoluti- onäre Entwicklung gestoppt. Andere wurden 1815 rückgängig gemacht. Dennoch hatte die Revolution in großen Teilen Europas bleibende, wenn auch manchmal erst langfristig wirksame Folgen: Die Auf- lösung der feudalen Wirtschafts- und Gesellschafts- ordnung war im Westen und der Mitte des Kontinents abgeschlossen oder aber eingeleitet worden. Wo das bürgerliche Recht des französischen Code Civil über- nommen worden war, wie im Westen Deutschlands und in Italien, blieb es in Kraft. Anderswo wirkte der Code Civil als Vorbild für Rechtsreformen weiter. Das vor 1789 absolutistisch regierte Frankreich blieb auch nach der Wiederherstellung der Monarchie 1815 ein M4 108 Kompetenztraining Historische Methodenkompetenz Quellen und Darstellungen hinsichtlich ihrer Charakteristika unterscheiden Nur zu Prüfzwecken d d – Eigentum des V rlags öbv

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