Zeitbilder 5/6, Schulbuch

6. Bauern und Grundherrschaft  Der bäuerliche Festkalender aus dem Sachsenspiegel dokumentiert die Abgaben und Dienste der Bäu- erinnen und Bauern für ihre Grund- herren: Dammschutzbau gegen Über- schwemmungen. Abgabe von Ernte- erträgen. Lämmerabgabe am 1. Mai (grüner Baum). Pflege von Obst- und Weingärten am 25. Mai (Urbanstag – der Hackblock deutet den Märtyrer- tod dieses Heiligen an). Am 24. Juni ist der Viehzehent fällig, am 13. Juli (Margaretentag – die Heilige besiegt den Teufel) der Kornzehent. Am 15. August (Mariä Himmelfahrt – zugleich Tag der Kräuterweihe) ist der Gänse- zehent zu leisten. Die Geldzinsabga- be ist der 24. August (Bartholomäus- tag – der heilige Bartholomäus trägt sein Merkmal, die abgezogene Haut). (Buchmalerei, um 1300/1315, Uni- versitätsbibliothek Heidelberg) Die Bäuerinnen und Bauern und die in der Landwirt- schaft Tätigen bildeten im Mittelalter mit mindestens 90% den größten Teil der Bevölkerung. Heute sind in Österreich nur mehr knapp 5% der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft beschäftigt. Das freie Bauerntum war in der Übergangszeit vom Früh- zum Hochmittelalter (7. und 8. Jh.) in Mitteleuropa einem vom Grundherrn abhängigen Bauerntum gewi- chen. Vielfach hatten sich ursprünglich freie Bäuerinnen und Bauern mit ihrem Landbesitz in die Abhängigkeit eines Grundherrn begeben, um nicht mehr im königli- chen Heerbann in den Krieg ziehen zu müssen oder um sich vor Übergriffen anderer Mächtiger zu schützen. Da- für erhielten sie ihr Land zur Bearbeitung zurück und hatten dem Grundherrn als Hörige Gegenleistungen zu bieten: entweder als Grundpacht bzw. Zins (Abgaben vom Ernte- und Viehertrag, später Geldabgaben etc.) oder als Dienste (Arbeitsleistungen wie Pflugarbeit, Ern- tearbeit, Instandsetzungsarbeiten = Fronen). Die For- men der Abhängigkeit waren von Grundherrschaft zu Grundherrschaft verschieden. Doch in der Regel war der Bauernstand nicht mehr frei und unabhängig. Er blieb es jedoch weitgehend dort, wo er an der Verteidigung des Landes mitwirkte – wie z. B. in Tirol. Mit der Zunahme der Geldwirtschaft ab dem 12. Jh. wurde der Besitz von Geld für die Grundherren immer interessanter. Sie ließen sich nun die bäuerlichen Fron- dienste und Naturalleistungen zunehmend durch Geld- beträge ablösen. Dadurch wurde die wirtschaftliche Abhängigkeit der Bauernschaft von ihren Grundherren weniger unmittelbar. In der bildhaften Sprache des Mit- telalters bezeichnete man die Bäuerinnen und Bauern als „die Füße“, welche den gesamten Volkskörper zu tragen hatten. Sie schufen nämlich die Nahrungsgrund- lagen für Klerus und der Adel. Q So Buwe mit dem Phluoce / so geniuzent din ge- nuoge. / din geniuzent sicherliche / der Arme und der Riche. / manec Künec wirt gekroenet / von dez Buwes Stiuwer [Steuer, Abgabe]. (Wernher der Gärtner, Meier Helmbrecht, 13. Jh.) Die wirtschaftliche Leistung der Bauernschaft ermög- lichte es nämlich erst den Adeligen, den Rittern und der Geistlichkeit, ihren Lebensstandard zu entwickeln. Sie finanzierten letzten Endes die kostspielige militärische Ausrüstung (ein Brustpanzer kostete im 11. Jh. etwa so viel wie der Jahresertrag eines mittleren Gutes). Sie kamen auch für die kostbaren liturgischen Geräte (z. B. Kelche, Kreuze) sowie für den Bau der Kirchen, Klös- ter und Burgen auf. Die Grundherrschaft war somit eine Einrichtung, die schließlich das gesamte bäuerliche Le- ben vom Hochmittelalter bis ins 19. Jh. bestimmte. Die Bevölkerung wächst und muss ernährt werden Die Versorgung der wachsenden Bevölkerung war nicht leicht. Es wurde vor allem Getreide angebaut, denn die Viehhaltung ist für die Ernährung nicht so ergiebig. Zwei Voraussetzungen bildeten die Grundlage für die erhöhte Nahrungsmittelproduktion: Erstens wurde bisher unberührter Urwald gerodet, Sümp- fe trockengelegt und Dämme errichtet (Binnenkolonisati- on). Durch Begünstigung der Rodungsbauern (z.B. weni- ger Steuern und Abgaben) war es gelungen, die bebau- bare Fläche beträchtlich zu vergrößern. Eine besondere Form des Landausbaus bildete ab dem 11. Jh. die Kolo- nisation bei den östlichen Nachbarn des Reiches, bei den Polen, Böhmen und Ungarn. Als Kolonisten wurden Bäu- erinnen und Bauern, Handwerkerinnen und Handwerker sowie Händlerinnen und Händler von slawischen und un- garischen Fürsten ins Land geholt. Diese „Ostkolonisati- on“ hat das Gesicht Osteuropas beeinflusst, ja zum Teil entscheidend bis zum Jahr 1945 geprägt. Zweitens wurde der vorhandene Boden intensiver ge- nutzt: Wo es die Möglichkeit gab, wurde Weideland in Ackerland umgewandelt. Damit wurde die Rinderhal- tung zurückgedrängt. Deshalb war jedoch die natürliche Düngung des Bodens vielfach nicht mehr gesichert. Die erste künstliche Düngung mit Mergel (ein Sedi- mentgestein, gemischt aus Kalk und Ton) machte zwar die Wirkstoffe im Boden für die Pflanzen besser verfüg- bar, vermehrte sie aber nicht. Der Acker war also bald „ausgemergelt“. Die allmähliche Verbreitung der Drei- felderwirtschaft seit der Karolinger-Zeit steigerte die Erträge, weil öfter geerntet werden konnte als bei der Zweifelderwirtschaft. Dabei wurde auf einem Feld ab- wechselnd Wintergetreide und Sommergetreide ange- baut, während im dritten Jahr das Feld brach lag. Das verhinderte ein Auslaugen der Böden. Eine Grundvoraussetzung war die Verwendung des schwereren Beetpfluges. Er riss die Erde nicht nur auf, sondern wendete die Scholle. Dazu bedurfte es einer verbesserten Zugkraft. Diese wurde durch die Anspan- nung entweder von mehreren Zugochsen oder durch die bessere Ausnutzung der Pferdestärke durch Kum- 74 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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