Zeitbilder 5/6, Schulbuch

22. Alltag und Propaganda im Ersten Weltkrieg (Feldpostkarten) Feldpostkarten beziehen sich auf historische Personen oder Er- eignisse. Sie versuchen mit spezifischen Mitteln und Formen, die Vergangenheit darzustellen. Es ist wichtig, diese Darstellungen kritisch zu hinterfragen. Mit Hilfe von Analysen, die sich auf die typischen Elemente von Feldpostkarten, den Entstehungskontext, die sprachlichen und bildnerischen Inhalte, die Absichten und die möglichen Bewer- tungen beziehen, können Feldpostkarten dekonstruiert wer- den. Alltag und Propaganda im Ersten Weltkrieg Der Erste Weltkrieg wird häufig als erster „totaler Krieg“ der Geschichte bezeichnet. Damit meint man, dass nicht mehr nur die Soldaten massiv von den Auswirkungen des Krieges betroffen waren, sondern jeder Mensch in den kriegführenden Staaten, also auch Frauen, Kinder und ältere Menschen. Die Regierungen versuchten bei der Zivilbevölkerung den Eindruck zu erwecken, dass der militärische Sieg wesentlich davon abhinge, wie pflichtbewusst sie kriegsbedingte Arbeiten verrichteten. Im Laufe des Krieges wurde die Produktion von Rüs- tungsmaterial immer mehr angekurbelt. Deshalb führte man eine staatliche Wirtschaftslenkung (Zwangswirt- schaft) ein. In den Industriebetrieben wurde teilweise über 100 Stunden pro Woche gearbeitet. Damit wollte man den Materialbedarf der Front sicherstellen. Frauen verrichteten nun verstärkt Arbeit in Rüstungsbetrieben. Um die katastrophale Ernährungslage zu verbessern, rief man die Menschen zur intensiven Nutzung heimi- scher Naturprodukte auf. Frauen und Kinder sollten Blätter, Eicheln, Beeren und Früchte sammeln. Damit wurden Lebensmittel „gestreckt“ und Ersatzprodukte entwickelt. Kinder halfen auch bei Material-Sammlun- gen: Immer wieder gab es Aufrufe, Gegenstände aus Materialien, welche für die Rüstungsproduktion wert- voll waren, an Sammelstellen abzugeben. Viele Men- schen, vor allem Frauen, kamen diesen Aufforderungen nach und spendeten Schmuck und Gegenstände aus Gold, Silber, Aluminium und anderen wertvollen Roh- stoffen. Immer wieder appellierten staatliche Stellen an die Opferbereitschaft der Zivilbevölkerung. Durch politische Propaganda sollten patriotische Gefühle, Kriegsbegeisterung sowie Sieges- und Durchhaltewil- len entfacht werden. Neben Plakaten, Flugblättern und Zeitungsberichten wurden nun auch Kriegswochen- schauen und Propagandafilme genutzt. Ein Massenmedium dieser Zeit waren Feldpostkarten. Man versteht darunter Karten mit Bildmotiven und Sprüchen, welche Soldaten während des Krieges an Verwandte und Freunde sandten. Diese Karten erfreu- ten sich großer Beliebtheit – allein Soldaten der österrei- chisch-ungarischen Monarchie verschickten monatlich etwa 50 Millionen Feldpostkarten. Sie enthalten unter- schiedliche Inhalte: Manche zeigen Schlachtszenen, sie thematisieren den Heldenmut und die Tapferkeit der ei- genen Truppen. Realistische Darstellungen der grauen- haften Fronterlebnisse werden aber vermieden. Einige Feldpostkarten zeigen gefühlvolle Szenen, welche die Sehnsucht der Soldaten nach ihren Angehörigen aus- drücken sollen. Es gibt auch Feldpostkarten, welche die Kriegsgegner auf eine hetzerische, aggressiv anmutende Weise dar- stellen, häufig mit den Mitteln der Karikatur. Feldpost- karten wurden von staatlichen Stellen, aber auch von privaten Verlagen und von Vereinen herausgebracht, die durch ihren Verkauf Geld für Kriegsopfer sammel- ten.  Feldpostkarte 1 zeigt einen offenbar verwun- deten Soldaten, den Kopf eingebunden, der im Gras liegt und an- scheinend an seine Lie- ben denkt. Text: „Die Sonne sank im Westen. / Und wird sie nicht geführet / Vom And´ren zum Altar, / Soll sie an den noch den- ken, / Der einst getreu ihr war!“ (Foto, 1915) 242 Kompetenztraining  Historische Methodenkompetenz Gattungsspezifik von Darstellungen der Vergangenheit (z. B. Spielfilm, Comic, Roman, Internetseite) erkennen Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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