Zeitbilder 5/6, Schulbuch

Durch die ständigen Rekrutierungen entstand ein Ar- beitskräftemangel in Industrie und Landwirtschaft. Frau- en, Jugendliche und Kriegsgefangene kamen verstärkt als Arbeitskräfte zum Einsatz. Facharbeiter in der Rüs- tungsindustrie wurden von der Wehrpflicht freigestellt. Sie unterstanden in den Betrieben vielfach aber gleich den Soldaten militärischer Aufsicht und Disziplin. Die Frauenarbeit nahm während des Krieges stark zu. Frauen übernahmen Arbeiten in den Dienstleistungs- bereichen, für die sie angeworben wurden. Vielfach mussten sie aber auch in den neuen Munitions- und Rüstungsbetrieben arbeiten: Q Die kleinen Dörfchen, die da plötzlich über Nacht zu großen Fabriksorten geworden sind, können natürlich keine Wohnräume bieten. [...] Man muss auch zugewanderte verheiratete Frauen be- schäftigen, und diese bringen in den meisten Fällen auch die Kinder mit. Wo sollen die Kinder bleiben, wenn die Mutter auswandern muss, um Arbeit zu suchen? [...] So wohnen in Felixdorf die Arbeiterin- nen der Fa. Roth in einer leer stehenden Spinnerei. Die großen Säle sind ausgeräumt [...], aus rohen [...] Brettern wurden Verschläge gemacht, von denen je- der zwei Betten enthält. Das Bett besteht aus einem schmutzigen Strohsack mit einem kleinen Polster. [...] In den Räumen dieser alten Spinnerei wohnen und leben hundertfünfzig Kinder. Hundertfünfzig junge und hoffnungsvolle Menschen werden dort zu Grunde gehen, denn von der Luft [...] kann man sich keine Vorstellung machen. [...] Dabei kommen die Mütter und Schwestern, gelb und braun vom Ekrasit, mit dem sie arbeiten müssen [...], zu den Kindern und infizieren auch noch die Säuglinge [...] mit dem Gift. Man sieht kleine Kinder, die schon den merkwürdi- gen gelben Glanz in den Haaren haben, deren fahle Gesichtsfarbe von dem schleichenden Gift erzählt. (Freundlich, Kindermord in der Munitionsindustrie, 1982, S. 19) Die Eingriffe des Staates nehmen zu In allen kriegführenden Staaten kam es zu einer Zunah- me der Regierungsautorität. Neue Behörden entstan- den, die in Wirtschaft und Versorgung lenkend eingrif- fen. Es kam zu amtlichen Verbrauchsbeschränkungen. Zur Finanzierung des Krieges wurden Kriegsanleihen aufgelegt. Diese Maßnahmen sollten der Mobilisierung aller Kräf- te für den Krieg dienen. Mit Fortdauer des Krieges bra- chen im Inneren der Staaten jedoch wieder die alten politischen und sozialen Gegensätze verschärft auf. In ganz besonderer Weise betroffen waren davon Russ- land, Italien, Deutschland und Österreich. Hunger, Kriegsverdruss und Unmut über „Kriegsgewinnler“ verbanden sich mit politischer Unzufriedenheit. Wohl verlangten die Regierungen hohe Opferbereitschaft, doch Mitsprache gewährten sie nicht. Schon 1915 war es in Österreich wegen unregelmäßiger Versorgung und Ausdehnung der Arbeitszeit zu Streiks gekommen. 1916 begannen trotz Verbotes die Streiks größeren Umfang anzunehmen. Als im Jänner 1918 die Mehlrationen neuerlich gekürzt wurden, erfasste eine Streikwelle zahlreiche Industrie- und Bergbauzentren. „Brot und Frieden“ wurden verlangt.  Erstmals in der Kriegsgeschichte setzten die Deutschen 1915 Giftgas ein. Gasmasken gehörten von da an zur Ausrüstung. Ein Gasangriff wur- de von den Soldaten sehr gefürchtet: Verätzte Lungen und Erblindungen konnten die verheerenden Folgen sein. (Foto der 55. Britischen Division, vom 10. April 1918)  Zizernakaberd (arm. „Schwalbenfestung“) ist ein Denkmalkomplex in Jerewan (Armenien). Er wurde 1967 zum Geden- ken der Opfer des Völker- mords an den Armeniern im damaligen Osmani- schen Reich 1915–1917 errichtet. Alljährlich am 24. April versammeln sich am Denkmal Armenier, um den Opfern zu geden- ken. In der Türkei ist die Verwendung des Begriffes „Völkermord“ für die plan- mäßige massenhafte Ver- treibung und Ermordung der armenischen Bevölke- rung während des Ersten Weltkrieges nach wie vor umstritten. In der öffentli- chen und wissenschaftli- chen Debatte wird erbit- tert um die Darstellung und Interpretation der Ereignisse von 1915 gerungen. Inzwischen ist in der Türkei und in Armenien ein Prozess in Gang gekommen, in dem es um die Anerkennung der jeweiligen Standpunkte und um eine erste An- näherung geht. (Foto, Yvan Travert, 2007) Fragen und Arbeitsaufträge 1. Fasse zusammen, auf welche Weise die massenhafte Her- stellung von Kriegsgerät die Kriegsführung und das Leben an und hinter den Fronten beeinflusste. 2. Analysiere die Bilder auf dieser Doppelseite und erörtere sie daraufhin, wie eine „unpersönlich“ scheinende Rüs- tungsproduktion und persönliches menschliches Leid in Beziehung stehen. 3. Erläutere Gründe, warum dem Jahr 1917 im Ersten Welt- krieg eine besondere Bedeutung zukommt. 241 Von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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