Zeitbilder 5/6, Schulbuch

mehr produzieren (= Mehrprodukt), als zur Erhaltung ihrer Arbeitskraft (= Existenzminimum) notwendig ist, bekommen sie nur diesen minimalen Anteil vergütet. Das Mehrprodukt schafft den „Mehrwert“, der als Pro- fit in die Kasse der Kapitalisten fließt. Er wird zu wei- teren Investitionen verwendet, um die Produktion und damit auch den Gewinn zu steigern. Damit erhöht sich aber auch der Konkurrenzdruck: Die Löhne werden sin- ken, Maschinen werden Arbeiter ersetzen, die arbeits- lose „Industrielle Reservearmee“ wird größer werden. Wenn aber mehr Waren produziert werden, als sich die Menschen kaufen können, kommt es zur „Überproduk- tionskrise“. Nun werden auch die kleinen Unterneh- mer untergehen, da sie mit den Produktionsverfahren der Großbetriebe nicht mehr Schritt halten können. Es kommt zur Konzentration des Kapitals in wenigen Hän- den bis zur Monopolbildung. Da sich, nach Marx, diese Krisen häufen werden, stehen am Ende dieser Entwicklung wenige Kapitalisten einem Heer von Besitzlosen gegenüber. Das ist der Zeitpunkt der sozialen Revolution: Die Proletarier übernehmen die alleinige Macht (Diktatur des Proletariats), enteignen die wenigen großen Kapitalisten und begründen dann ein neues Gesellschaftssystem. In diesem wird nicht mehr um des Profites willen produziert, sondern um die Be- dürfnisse aller zu befriedigen. Die Gesellschaft als Gan- zes ist nun Eigentümer der Produktionsmittel, daher gibt es auch keine Klassen, keine Ausbeutung, keine Unter- drückung von Menschen durch Menschen. Wolfgang Leonhard, ursprünglich Marxist und späterer Marxismus-Kritiker, meint dazu etwa 100 Jahre später: Q Die Auffassung, die Arbeiterklasse sei die am meisten ausgebeutete und revolutionärste Klas- se und daher berufen, den Sturz des Kapitalismus zu vollziehen, wurde von Marx und Engels in den vier- ziger Jahren des 19. Jh. vertreten. Damals schien tat- sächlich vieles dafür zu sprechen. [...] Durch die [...] aktive Betätigung der Arbeiterparteien und Gewerk- schaften, weit reichende Sozialgesetzgebung und einer Fülle anderer [...] Veränderungen hat sich die [...] Stellung der Arbeiterschaft weit gehend gewan- delt. [...] Vor allem die Revolutionen in den letzten Jahrzehnten haben gezeigt, dass auch andere Kräfte (Studenten, Armee, Bauern usw.) neben den Arbei- tern eine Revolution führen [...] können. (Leonhard, Die politischen Lehren, 1962, S. 31 f.) Ermittle im Internet, in Geschichtsbüchern oder Lexika, welche Revolutionen es z. B. in Europa und Nordafrika in der jüngeren Vergangenheit gegeben hat, wie sie durchge- führt wurden und welche Ergebnisse sie gebracht haben. Marx und Engels als politische Praktiker Marx und Engels versuchten, ihre Lehre vom „wissen- schaftlichen Sozialismus“ auch in die politische Praxis umzusetzen. Sie hatten Kontakte zu Arbeiterführern in England und Frankreich. Marx wurde 1847 zum Präsidenten des „Bundes der Kommunisten“ gewählt.  Otto Marcus, Schmuckblatt der SPD-Maifestzeitung. Holzstich, 28 × 42 cm, 1896. „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ Seit 1890 gehen in den eu- ropäischen Industriestaaten die Arbeiterinnen und Arbeiter am 1. Mai auf die Straße. Gemeinsam mit Engels verfasste Marx im Revolutions- jahr 1848 das „Manifest der kommunistischen Partei“: Q Ihr entsetzt euch darüber, dass wir das Privatei- gentum aufheben wollen. Aber in eurer beste- henden Gesellschaft ist das Privateigentum für neun Zehntel ihrer Mitglieder aufgehoben [...] Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder vereinigt euch! (Marx/Engels, Manifest der kommunistischen Partei, 1848) Erkläre in eigenen Worten, mit welcher Begründung Marx das Privateigentum aufheben will. Erörtere, inwieweit dieser Aufruf auch heute noch zeitgemäß wäre. Als die Revolution scheiterte, emigrierte Marx nach Lon- don. Dort verfasste er seine grundlegenden Werke „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ und „Das Kapital“, das nach seinem Tod von Engels fertig gestellt wurde. Marx wurde Mitbegründer der ersten „Internationalen Ar- beiter-Assoziation“ (1864), seine Thesen bildeten auch die Grundlage der „II. Internationale“ (1889). Auf seine Lehre, den „Marxismus“, stützten sich die Programme aller sozialistischen Parteien Europas, die gegen Ende des 19. Jh. gegründet wurden. Die Frage, wie die Um- wandlung der kapitalistischen in eine klassenlose Ge- sellschaft vor sich gehen solle, hat Marx im Lauf der Zeit verschieden beantwortet. Er hielt sowohl die gewaltsa- me Revolution als auch die langsame Entwicklung auf demokratischer Basis (Evolution) für möglich. Den sozia- listischen Parteien standen daher beide Wege offen. Die Arbeiterschaft greift zur Selbsthilfe Als Hauptaufgaben des Staates galten bis in die zweite Hälfte des 19. Jh. der Schutz der Freiheit und des Ei- gentums seiner Bürgerinnen und Bürger. Das nützte zwar dem besitzenden Bürgertum, nicht aber der Arbei- terschaft. Wollten diese das Massenelend beseitigen, mussten sie zur Selbsthilfe greifen. 219 Von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=