Zeitbilder 5/6, Schulbuch

5. Imperialismus und Expansion – wozu? Die Bedeutung von Kolonien und Halbkolonien Der Besitz von Kolonien erfüllte für die imperialisti- schen Mächte viele Funktionen. Die Kolonien galten als geostrategisch wichtige Stützpunkte, Siedlungsräume für die wachsende Bevölkerung, Rohstofflieferanten, Märkte für Industrieprodukte, Möglichkeit, Kapital zu investieren, Prestigeobjekte. In der Propaganda wurde von den Kolonien als „wichtige Märkte“ gesprochen. Von weit größerer Bedeutung waren sie jedoch als Lie- feranten von Rohstoffen. Neben den bekannten „Ko- lonialwaren“, wie z. B. Kaffee, Tee, Gewürzen, Rohzu- cker, Tabak, Früchten, lieferten die Kolonien Rohstoffe, die für die industrielle Produktion unentbehrlich waren. Zu ihnen zählten Baumwolle, Kautschuk, Hölzer, Erze, Mineralien und auch Edelmetalle. Die wirtschaftlichen Erwartungen, die mit dem Besitz von Kolonien ver- bunden waren, erfüllten sich jedoch vielfach nicht. In Frankreich stieg der Anteil am Import aus und am Ex- port in die Kolonien auf nur etwa 10% des gesamten Außenhandels. Vom internationalen Handel Deutsch- lands entfielen gar nur 0,5% auf die eigenen Kolonien. Den weitaus größten Teil ihres Handels führten die In- dustriestaaten untereinander durch. Ähnliches trifft auf die Investitionen von Kapital zu. Be- teiligungen am Bau von Eisenbahnen und Kanälen, an Projekten zur Erschließung von Bergwerken und der Schiffbarmachung von Flüssen brachten zwar vielfach rasche und hohe Gewinne, dennoch machten in Frank- reich und noch deutlicher in Deutschland die Investitio- nen in die eigenen Kolonien nur einen geringen Teil der gesamten Auslandsinvestitionen aus. Viel bedeutender als die direkt beherrschten Kolonien waren in dieser Hinsicht die so genannten Halbkoloni- en, d. h. selbstständige, de facto aber von den europäi- schen Mächten und den USA wirtschaftlich und finan- ziell abhängige Länder. Das deutsche Projekt der „Bag- dad-Bahn“, die von Konstantinopel bis zum Persischen Golf geplant war, sollte Kerngebiete des Osmanischen Reiches dem deutschen Handel und Kapital erschlie- ßen. Verschiedene Großprojekte, wie Eisenbahnbau, Bewässerungsanlagen, die Modernisierung von Kons- tantinopel und anderer Städte, führten im Osmanischen Reich zu einer ungeheuren Schuldenlast. 1914 waren die gesamten Staatseinnahmen an europäische Gläu- biger verpfändet. 25% der Gesamtschulden schuldete das Osmanische Reich deutschen, 60% französischen Geldgebern. Nationalismus und Rassismus –  zwei verbreitete Phänomene Trotz der verschiedenen Faktoren, die den Imperialis- mus kennzeichneten, gab es auch gemeinsame Merk- male: Nationalismus und Rassismus. Der Glaube an die Überlegenheit der eigenen Nation und der „weißen Rasse“ war in Europa und in den USA weit verbreitet. Ein Beispiel von vielen bietet der Brite Cecil Rhodes (1853–1902). Er wanderte bereits als Jugendlicher in den Süden Afrikas aus. Als Teilhaber an einer Gold- bergwerksgesellschaft brachte er es zu Reichtum und gründete die „British South African Company“. Diese Gesellschaft unterwarf in Kriegen gegen die Matabe- le und Maschona ein riesiges Territorium, „Rhodesi- en“ – heute Simbabwe, Sambia und Malawi. Cecil Rhodes schrieb: Q Ich behaupte, dass wir die erste Rasse der Welt sind, dass es für die Menschen umso besser ist, je größere Teile der Welt wir bewohnen [...]. Darü- ber hinaus bedeutet es einfach das Ende aller Kriege, wenn der größere Teil der Welt in unserer Herrschaft aufgeht. [...] Da Gott die Englisch sprechende Rasse offenkundig sich zu seinem auserwählten Werkzeug geformt hat [...], muss es auch seinem Wunsch ent- sprechen, dass ich alles [...] tue, um jener Rasse so viel [...] Macht wie möglich zu verschaffen. Daher, wenn es einen Gott gibt, denke ich, möchte er gerne von mir, dass ich so viel von der Karte Afrikas bri- tischrot male wie möglich. (The Last Will and Testament of C. J. Rhodes, hg. von William T. Stead, 1902, S. 94 f.) Dieses verbreitete „Sendungs- und Überlegenheitsbe- wusstsein“ fand seinen Ausdruck u. a. auch darin, dass die einheimische Bevölkerung in den meist von den Missionaren errichteten Schulen nach europazentrier- ten Lehrplänen unterrichtet wurde.  Afrikanerinnen in Kettenhaft (Straßenbau), „Deutsch-Ostafrika“ (heu- te: Tansania [ohne Sansibar], Burundi und Ruanda) um 1900. Die Ket- tenhaft war die schwerste Art der gegen Afrikanerinnen und Afrikaner verhängten Freiheitsstrafen. Die Gefangenen wurden zu schwerer Arbeit im Freien gezwungen. Dabei wurden sie mit Ketten, die durch Halsringe oder um die Knöchel gelegte Eisenringe liefen, aneinander gefesselt. (Foto, um 1900) Fragen und Arbeitsaufträge 1. Gib die verschiedenen Ursachen für den Imperialismus wieder. Versuche Bezüge zum Kolonialismus der frühen Neuzeit herzustellen. 2. Beurteile das in der Quelle ausgedrückte „Sendungsbe- wusstsein“ aus heutiger Sicht. Stelle dies in einen Zusam- menhang mit der Behandlung der einheimischen Bevölke- rung, wie sie in der Fotografie zum Ausdruck kommt. 172 Nur zu Prüfzwecken – Eige tum des Verlags öbv

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