Zeitbilder 5/6, Schulbuch

3. Die „Europäisierung“ der Welt – „Entdeckungen“ und Eroberungen Die Materialien auf dieser Doppelseite dienen dazu, die Histo- rische Methodenkompetenz weiterzuentwickeln. Du sollst hier verschiedene Darstellungen daraufhin untersuchen, inwieweit sie sich auf Quellen beziehen und wie diese für die Darstellung genutzt werden. Das wird dich weiter befähigen, historische Er- eignisse und Entwicklungen noch klarer zu entschlüsseln (= zu dekonstruieren). Im Buch „Lebensalltag zur Zeit der Entdecker“ heißt es über „Konquistadoren in Mexiko“: [...] Beherrscht wurde das [Azteken-]Reich von Moctezuma II. (1467–1520), einem Priesterkönig. Indianer [...] warnten Cortes, Moctezuma sei in der Lage, 150 000 Krieger in die Schlacht zu führen. Cor- tes zeigte sich jedoch unbeeindruckt. Er setzte sei- nen Vormarsch fort, bis er [...] Tenochtitlan erreichte. [...] In einem kühnen Handstreich wurde Moctezuma überwältigt und als Geisel gefangen gehalten. Begünstigt wurde das Vordringen der Spanier durch den Aberglauben der Azteken. Einer alten Legende zu- folge sollte eines Tages ein Gott mit weißer Haut über seine Feinde triumphieren. Als Cortes in Mexiko lan- dete, hielten ihn die Indianer für den zurückgekehrten aztekischen Gott Quetzalcoatl, den man laut Überlie- ferung mehrere hundert Jahre zuvor aus seinem Land vertrieben hatte. Dieser Glaube lähmte die Azteken in ihrer Widerstandskraft, denn sie wagten es nicht, die Hand gegen einen ihrer Götter zu erheben [...] (Falkus, Lebensalltag zur Zeit der Entdecker, 1996, S. 44) Der spanische Soldat Bernal Diaz del Castillo (1498–1582) beschreibt die Eroberung Mexikos, an der er selbst teilgenommen hat: Wie der große Monteczuma und seine Vasallen den Treueeid auf unseren Kaiser leisteten. Cortés erinnerte jetzt den großen Monteczuma an sein wiederholtes Versprechen, unserer Kaiserlichen Majestät den Treueid zu leisten. Monteczuma war bereit, die Großen seines Reiches zu diesem Zweck zusammenzurufen [...]. Monteczuma begann mit dem Hinweis auf die alte Pro- phezeiung, nach der einst Leute von Sonnenaufgang kommen und die Regierung übernehmen werden. Er habe die Götter befragt. Sie hätten ihm sagen lassen, dass die Spanier die angekündigten neuen Herrscher seien. Er habe sich diese Aussage noch einmal vom Kriegsgott ausdrücklich bestätigen lassen wollen, wider die Gewohnheit des Gottes aber keine Antwort erhal- ten. Aus diesem Grund seien an die Götter auch kei- ne weiteren Fragen gestellt worden. Er müsse daraus schließen, dass die Götter es für recht hielten, wenn die Mexikaner unserem Kaiser huldigten [...]. Aus diesem Grund befehle er ihnen, die Oberhoheit des spanischen Herrschers feierlich anzuerkennen. [...]. Mit Tränen in den Augen erklärten sich die Anwe- senden [Großen des Reiches, Anm. d. A.] bereit, die Befehle Monteczumas auszuführen. [...] Der feierli- che Akt wurde dann in Gegenwart des Generalkapi- täns [Cortés], aller Offiziere und der meisten unserer Mannschaften vollzogen [...]. Die Mexikaner waren alle sehr erschüttert, Monteczuma konnte die Tränen nicht zurückhalten. Wir hatten ihn so liebgewonnen, dass wir seinen Schmerz lebhaft mitfühlten, und man- cher von uns weinte mit dem fremden Fürsten [...]. (Diaz del Castillo, Die Eroberung von Mexiko, 1988, S. 245 f.) Der Mönch Toribo de Benavente (1482–1568) beschreibt zehn Plagen, unter denen Mexiko seit der spanischen Eroberung zu leiden hatte: Gott verwundete und bestrafte dieses Land [das heutige Mexiko, Anm. d. A.] und seine Bewoh- ner [...] mit zehn verheerenden Plagen. Die erste waren die Pocken [...]. Die zweite war die Conquista [Eroberung, Anm. d. A.], durch die viele starben [...]. Die dritte Plage war eine große Hungersnot, die nach der Einnahme der Stadt ausbrach. Denn da sie infol- ge des Krieges [...] die Felder nicht bestellen konnten oder aber die Felder, die die einen bepflanzten, von den anderen zerstört wurden, gab es nichts zu essen [...]. Die vierte Plage waren die Aufseher [...], die die Konquistadoren in ihren Besitzungen und Dörfern [...] einsetzten, damit sie die Tribute überwachten [...]. Ob- wohl sie zumeist Arbeiter sind, die aus Spanien ein- gewandert sind, führen sie sich in diesem Land wie Herren auf und springen mit den einheimischen Fürs- ten um, als seien es ihre Sklaven [...]. Die fünfte Plage waren die hohen Abgaben und Dienstleistungen, die die Indianer erbringen mussten [...]. Die sechste Plage waren die Goldminen [...]. Die Zahl der indianischen Sklaven, die darin zu Tode kamen, ist so groß, dass man sie nicht zählen kann [...]. Die siebte Plage war der Wiederaufbau der Stadt Mexiko [...]. Und bei die- sen Arbeiten [...] starben viele Indianer [...]. Die achte Plage war die Jagd auf Sklaven, die sie für die Minen benötigten. [...] Die zehnte Plage war der Streit, der zwischen den Spaniern in Mexiko ausbrach und die Gefahr heraufbeschwor, das ganze Land zu verlieren, was unzweifelhaft geschehen wäre, wenn Gott die In- dianer nicht in Blindheit gehalten hätte. (de Benavente, Geschichte der Indios von Neuspanien (um 1550), in: Europa und die Welt um 1500, 2007, S. 136 f.) Der österreichische Historiker Bernhard kritisiert die Darstellung der spanischen Beherrschung Amerikas in österreichischen Schulbüchern: Es ist eine unbestrittene Tatsache, dass die indi- gene Bevölkerung Hispanoamerikas kurz nach der Landung der Spanier einem gewaltigen demographi- schen Kollaps [= Bevölkerungsverfall, Anm. d. A.] un- terlag. Ein Massensterben unglaublichen Ausmaßes setzte ein. Die genauen Zahlen entziehen sich auf- grund fehlender Datenmaterialien unserer Kenntnis, aber Schätzungen gehen in manchen Regionen von einem Bevölkerungsrückgang von über 90% bis ins Jahr 1650 aus. Natürlich stellt sich sofort die Frage nach den Ursachen dieses [...] Massensterbens. Die M1 M2 M3 M4 168 Kompetenztraining  Historische Methodenkompetenz Quellenbezüge in Darstellungen der Vergangenheit herausarbeiten Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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