Zeitbilder 5/6, Schulbuch
−− Bäuerinnen und Bauern bildeten nur 25 bis 30% innerhalb der ländlichen Bevölkerung. Sie wa- ren die Inhaber von Ganz-, Halb- oder Viertelhuben. Die Verkleinerung der ganzen Hu- ben zu Halb- oder Viertelhuben ge- schah meist durch Erbteilung und zog eine Verarmung dieser bäuerli- chen Gruppen nach sich. Unterhalb der Bäuerinnen und Bau- ern befanden sich auf der gesell- schaftlichen Stufenleiter die ländli- chen Unterschichten. Das waren Kleinhäuslerinnen und Kleinhäusler, Inleute und das Gesinde. Sie mach- ten etwa zwei Drittel bis drei Viertel der ländlichen Bevölkerung aus. −− Kleinhäuslerinnen und Kleinhäus- ler bzw. Häuselleute besaßen ein Kleinhaus, meist mit einem kleinen Grundstück. Um überleben zu kön- nen, mussten sie sich z.B. als Tage- löhner in der Land- und Forstwirt- schaft oder im Verkehrswesen ver- dingen oder handwerkliche Tätig- keiten im Kleingewerbe betreiben. −− Inleute waren Untermieter. Ihr Hausherr war der Bauer. Oft waren es Verwandte des Bauern oder der Bäuerin: die Eltern, häufig auch Geschwister mit ihren eigenen Kin- dern. Auch Witwen oder alleinste- hende Frauen mit Kindern waren unter den Inleuten zu finden. Sie hatten zwar ihren eigenen Haushalt, mussten aber für regelmäßige Ar- beiten am Hof des Bauern zur Ver- fügung stehen; sie hatten die „Mie- te“ also abzuarbeiten. Nebenbei konnten sie über Tagelöhner-Arbeit den Lebensunterhalt aufbessern. −− Das Gesinde bzw. die Dienstboten waren noch stärker in das Familien- leben eingebunden. Meist waren das unverheiratete junge Leute. Sie standen im Dienst, bis sie die Mög- lichkeit einer Verheiratung und Hausstandsgründung erhielten. Lebenslange Dienstboten waren auf dem Lande noch die Ausnahme. Die Standesunterschiede wurden deut- lich betont. So bestimmte die Tiroler Dienstbotenordnung von 1879: Q Der Dienstbote hat jeden sei nen Verhältnissen unangemes senen Aufwand in der Kleidung und in seinen Vergnügungen zu vermeiden. (Zit. nach: Bruckmüller, Sozialgeschichte Öster reichs, 1985, S. 382) Vom „Industrie- und Gewerbebauern“ zum Landwirt Schon seit dem Spätmittelalter ha- ben Bauern neben ihrer Landwirt- schaft immer auch gewerbliche Tä- tigkeiten durchgeführt. Sie waren in der Holzwirtschaft tätig, haben Holzkohle gebrannt, Bergbaupro- dukte (z. B. Kleineisen) verarbeitet und vermarktet, Transporte zu Was- ser (Flößerei) oder zu Lande durch- geführt, Gastwirtschaften oder den Postdienst betrieben. Ab dem 17. Jh. kamen vor allem Spinnen, Stricken und Weben dazu. Diese Verbindung von landwirt- schaftlichen und nichtlandwirt- schaftlichen Tätigkeiten bestimmte das bäuerliche Leben bis zum Be- ginn des 19. Jh. und sie war wirt- schaftlich von Vorteil. Die „aus- schließlichen“ Bauern hatten durch- schnittlich weniger Einkommen als die Industrie- bzw. Gewerbebauern. So stellte Philipp von Hörnigk be- reits im Jahr 1684 fest: Q Dass auch bei uns die Bauern in rauen unfruchtbaren Gebür gen […], die sich mit Spinnen, Holzhauen und hunderterlei ande ren Mühseligkeiten ernähren müs sen, gemeiniglich mehr Geld ha ben und ihre Herrschaftsabgaben besser entrichten, als die in den besten Korn- und Weinländern […]. (Hörnigk, Österreich über alles, wann es nur will, 1684) Mit dem Aufkommen der Spinn- und Webmaschinen in den Fabriken im Laufe des 19. Jh. verloren die Bauern diese Zusatzerwerbsmöglichkeiten. L Der vielfältig tätige Bauer wur de zum Landwirt und verlor sei ne Zusatzeinkommen. Das bedeu tete aber auch, dass das „Land“ wirtschaftlich verarmte und seine vorherrschende Rolle gegenüber der Stadt und den neuen Industrie zonen allmählich einbüßte. (Nach: Bruckmüller, Sozialgeschichte Öster- reichs, 2001, S. 211) Industrialisierung in der Landwirtschaft In der ersten Hälfte des 18. Jh. setz- ten sich der Mais, Anfang des 19. Jh. schließlich auch die Kartoffel in Österreich als Pflanzen bzw. Nah- rungsmittel endgültig durch. Um die Wende zum 19. Jh. wurde die tradi- tionelle Dreifelderwirtschaft zur Fruchtwechselwirtschaft verbessert (vgl. Agrarrevolution S. 207). Über die intensivere Düngung mit Stallmist hinaus führte man im Ver- lauf des 19. Jh. die Düngung mit Kunstdünger wie Kalium, Phosphor etc. ein. Das ermöglichte auch die Kultivierung bislang ungenützter oder leichter (= wenig fruchtbarer) Böden. Eine eindrucksvolle Steige- rung der landwirtschaftlichen Erträ- ge war die Folge – z. B. in Öster- reich: Verdreifachung der Getreide- produktion und eine Verdoppelung der Zuckerrübenernte zwischen 1870 und 1910. Damit einher ging der Ausbau einer landwirtschaftlichen Industrie mit Kunstmühlen, Zuckerfabriken, Bier- brauereien und Schnapsbrennerei- en. Zwei Drittel des gesamten Volkseinkommens wurden im Jahr 1910 in Österreich in der Landwirt- schaft erwirtschaftet. Durch diese Maßnahmen wurde der Arbeitsaufwand für die Bauernstellen aber deutlich vermehrt. Die Zahl der Dienstboten nahm zu. Die Landwirt- schaft wurde allmählich spezialisiert. Mit der Mechanisierung der Land- wirtschaft im Verlauf des 20. Jh. (Einsatz von Mähmaschinen, Trakto- ren, Erntemaschinen) wurde der Arbeitskräftebedarf deutlich redu- ziert. Gegenwärtig werden die Bau- ernstellen in Österreich nahezu aus- schließlich von den Familienange- hörigen bewirtschaftet. Knapp 5% der Erwerbstätigen in Österreich sind gegenwärtig (2015) in der Landwirtschaft tätig. Der neue Bauernstand seit der Bauernbefreiung 1848/49 Die Bauern konnten von nun an so- wohl über ihre Arbeitskraft als auch über ihr Eigentum verfügen. Aller- dings brachte die Einschränkung der Nebenerwerbsmöglichkeiten durch den Rückgang der Heimindustrie und durch die Änderungen im Transportwesen viele Bauern in wirt- schaftliche Schwierigkeiten. So führ- te z.B. die Verdichtung des Eisen- bahnnetzes ab etwa 1870 zu Einbu- ßen im Fuhrgewerbe und in der Flö- ßerei. Die Verwendung von Stein- 156 Längsschnitt Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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