Zeitbilder 5/6, Schulbuch

schon gar nicht Latein. Deshalb konnten sie auch die Heilige Schrift nicht verstehen, deren Übersetzung in die Landessprachen damals verboten war. Viele der hohen und niederen Geistlichen hielten sich nicht an die christlichen Gebote. Sie führten ein aus- schweifendes Leben und waren vor allem an den Ein- künften aus ihren Kirchenämtern interessiert. Auch die von Papst Gregor VII. seit dem 12. Jh. ver- ordnete Ehelosigkeit der Geistlichen wurde häufig nicht eingehalten. Die Reformer scheitern Immer wieder traten im Volk Männer auf, die diese Missstände verurteilten und eine Reform der Kirche for- derten. Sie zogen auch gegen die Amtskirche zu Fel- de. Kirche und weltliche Obrigkeit machten mit diesen „Ketzern“ meist kurzen Prozess. Im Normalfall wurden sie verbrannt und ihre Anhänger eingesperrt. Eine große Reformbewegung ging vom hoch gebildeten englischen Theologen John Wyclif (ca. 1320–1384) aus. Er lehnte den päpstlichen Primat sowie die Kirchen- hierarchie insgesamt ab. Die Heilige Schrift war für Wyclif die einzige Glaubensquelle. Er lehnte die Kirche als Hüterin der geheiligten Überlieferung ab und ver- warf jegliche Tradition wie Heiligenverehrung, Beich- te, Wallfahrten und Ablass (= die Vergebung zeitlicher Sündenstrafen). Wyclif begann die Bibel ins Englische zu übersetzen und predigte stets in der Muttersprache. Seine Lehren wurden vom Papst und der englischen Kirche verwor- fen. Obwohl er den König darin unterstützte, keine Steuern nach Rom zu bezahlen, ließ ihn auch die welt- liche Obrigkeit fallen. Daher zog er sich in eine kleine Pfarre zurück, wo er bald darauf starb. Seine große An- hängerschaft aber wurde noch jahrelang verfolgt.  Anonym, Wagenburg der Hussiten. Aquarell, Buchmalerei (Ausschnitt), um 1450. Zur Verteidigung wurden die Wagen kreisförmig aufgestellt. Auf dem Konstanzer Konzil wurde nicht nur der längst verstorbene Wyclif nachträglich zum Ketzer erklärt, sondern auch der tschechische Theologe Jan Hus (1370– 1415). Er war von den Konzilsvätern nach Konstanz vor- geladen worden, um seine Lehren zu widerrufen. Als Rektor der Prager Universität forderte der tschechische Theologe ähnliche Kirchenreformen wie sein englischer Vorläufer. Dazu galt Hus auch als Vertreter des nationalen Wider- standes gegen die herrschende deutsche Oberschicht in Böhmen. Er hatte daher unter den Tschechen eine riesige Anhängerschaft (= Hussiten). Da er aber zum Widerruf seiner Lehren nicht bereit war, verurteilte ihn das Kon- zil als Ketzer. Es übergab ihn dem weltlichen Gericht zur Vollstreckung des Urteils auf dem Scheiterhaufen. Der Tod des Jan Hus löste in Böhmen einen Sturm der Gewalt aus. Deshalb riefen der Papst zum Kreuzzug und der Kaiser zum Reichskrieg gegen die Hussiten auf. Es folgte ein langer Krieg (1419–1433), bei dem die hussitischen Fußkämpfer einige Erfolge gegen die kaiserlichen Reiterheere erringen konnten. Auch das nördliche Niederösterreich war von den hussitischen Einfällen betroffen. Doch schließlich siegten die kaiser- lichen Truppen und alle gegebenen Zugeständnisse an die Aufständischen wurden zurückgenommen: Es gab weder eine Reform der Kirche noch eine Aufhebung der sozialen Ungleichheit.  Anonym, Die Geißler zu Doornik (Niederlande) im Jahre 1349. Buch- malerei, Illustration zur Chronik des Aegidius (Gilles) Li Muisis, 14. Jh. Manchmal bildeten sich um einen Prediger auch Gruppen, die wie die Franziskaner und Dominikaner dem christlichen Armutsideal nachstreb- ten. Eine dieser Gruppen, die so genannten Geißler, nahmen auch kör- perliche Qualen auf sich. Durch Beten, Singen und Selbstgeißelung woll- ten sie Gott versöhnen und die Pest vertreiben. Der Papst sah die kirch- liche Ordnung durch die Geißler bedroht und verbot diese Bewegung. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Skizziere den Verlauf des großen Schismas und seine Beendigung. 2. Stelle die Reaktionen der römisch-katholischen Amtskirche auf die Reformbewegungen dar. 121 Die frühe Neuzeit – Europa im Wandel Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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