Zeitbilder 5/6, Schulbuch

4. Die Kirche in der Krise Das Ende vom Weltherrschaftsanspruch der Päpste Ist die weltliche Gewalt der geistlichen untergeordnet oder umgekehrt? Das war die Streitfrage zwischen Kai- ser und Papst im Hochmittelalter. Im Spätmittelalter hat- te der Papst seinen Führungsanspruch gegenüber dem römisch-deutschen Kaiser gefestigt und auch vom fran- zösischen König Philipp IV. (1285–1314) gefordert. Doch für diesen Anspruch auf „Weltherrschaft“ fehlten dem Papst die weltlichen Machtmittel. Seine Herrschaft be- schränkte sich nämlich nur auf den kleinen Kirchenstaat. Der Konflikt mit dem französischen König endete schließ- lich damit, dass der französische Papst Clemens V. die Residenz von Rom in die südfranzösische Stadt Avignon verlegte. Fast 70 Jahre lang währte die so genannte babylonische Gefangenschaft der Päpste (1309–1377). Erst Papst Gre- gor XI. verlegte auf Drängen des Kaisers und der römi- schen Bevölkerung seinen Sitz wieder in die Ewige Stadt. Doch schon ein Jahr später kam es zu einer Spaltung im Kardinalskollegium: Die französischen Kardinäle wählten gegen den neuen Papst Urban VI. einen Ge- genpapst und kehrten mit diesem wieder nach Avignon zurück (bis 1414). Damit war die Christenheit in zwei Lager gespalten. Das Große Schisma (= Kirchenspal- tung) trennte nicht nur die europäischen Länder in eine römische und avignonesische Partei. Die Spaltung setz- te sich auch fort in den Bistümern, Städten und Klöstern, sie zerriss Pfarren und Familien.  Anonym, Hus vor dem Konzil. Holzschnitt (Ausschnitt), 1415. Der tschechische Reformator Jan Hus wird nach dem Urteil des Konzils mit der Ketzerkrone auf dem Haupt verbrannt. Für viele Geistliche war die päpstliche Machtfülle Schuld an diesem Zustand der Kirche. Sie forderten deshalb die Einberufung einer über den Päpsten ste- henden Bischofsversammlung (= Konzil), die mit einem Schiedsspruch die Spaltung beenden sollte. Tatsächlich erklärte das Konzil von Pisa (1409) die bei- den Päpste für abgesetzt und wählte ein neues Ober- haupt. Da aber die abgesetzten Päpste den Konzilsbe- schluss missachteten, gab es nun drei Oberhirten in der katholischen Kirche. Der Papst siegt über das Konzil Erst auf dem Konzil von Konstanz (1414–1418) wurde das Schisma beendet. Es setzte alle drei Päpste ab und wählte ein neues, von allen anerkanntes Oberhaupt. Die Konzils- väter wollten aber auch die Kirche reformieren und die ketzerischen „Irrlehren“ (= Häresien) endgültig austilgen. Die Reform „an Haupt und Gliedern“ aber gelang weder in Konstanz noch in darauf folgenden Konzilien. Schließlich gelang es dem Papst, die Meinung der Kon- zilsväter zu spalten und so seinen Primat (= Vorherr- schaft) in der Kirche wiederherzustellen. Papst Pius II. verkündete 1459 in einer Rede: Q Dem Papst ist im heiligen Petrus von Christus Vollmacht übergeben, die gesamte Kirche zu regieren und zu leiten. [...] Niemand darf es wagen, durch ein Konzil die Gewalt des päpstlichen Stuhls einzuschränken. (Zit. nach: Schmid, Fragen an die Geschichte, Bd. 2, 1979, S. 184) Erläutere, welchen Machtanspruch der Papst in dieser Quellenstelle stellt und wie er ihn begründet. Die Missstände in der Kirche Die römisch-katholische Amtskirche erhob den Anspruch, dass ausschließlich sie die wahre christliche Lehre ver- künde. Daher könnten die Menschen auch nur mit ihrer Hilfe erlöst werden. Doch die Missstände in der Kirche ließen immer mehr Gläubige daran zweifeln: Die Päpste versuchten auf jede nur mögliche Art, aus den christli- chen Ländern Abgaben herauszupressen. Kirchenämter wurden gegen Bargeld verkauft (= Simonie), Pfründe (= mit einem kirchlichen Amt verbundene Einkünfte) an die Meistbietenden abgegeben. Dieses Geld wurde nicht nur für prunkvolle Bauten und persönlichen Luxus herangezogen. Es wurde seit dem 15. Jh. in immer größerem Maß zur Finanzierung von Kriegen verwendet, welche die Päpste als Herrscher des Kirchenstaates führten. Der Augsburger Stadtschreiber Peutinger zeichnete ein finsteres Bild von den Zuständen in Rom im Jahr 1491: Q Alles sehe ich hier käuflich, von ganz oben bis ganz unten. Man lobt die Intrige, die Verstellung, die Speichelleckerei. Die Religion ist wie Schminke aufgetragen. (Zit. nach: Hofacker, Schuler, Geschichtsbuch 2, 1986, S. 142) Diese Missstände gab es aber auch in den einzelnen Ländern: Höhere Adelige konnten sich ohne theolo- gische Ausbildung das Amt eines Bischofs oder Abtes kaufen, um sich auf diese Weise zu versorgen. Unzäh- lige ungebildete und arme, niedere Geistliche erfüllten ihre geistlichen Aufgaben mehr schlecht als recht. Sie waren oft auf Zusatzverdienste als Geschäftsleute, Wir- te oder in der Landwirtschaft angewiesen. Viele dieser Geistlichen konnten weder schreiben noch lesen und 120 Nur zu Prüfzw cken – Eigentum des Verlags öbv

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