Zeitbilder 5, Schulbuch

Wir leben gegenwärtig in einer Zeit der Globalisierung. Nach außen hin wird erwartet, dass die Menschen ein „Globales Mit- einander“ leben. Unterschiede zwischen den Kulturen, den Staa- ten und Nationalitäten sollen weniger bedeutsam werden. Nach innen und vielfach im privaten Bereich äußern viele Menschen aber „Angst vor dem Fremden“. Fremdes – „Othering“ – Eigenes Fremdes existiert in zahlreichen Erscheinungsformen um uns herum. Es wird vom Einzelnen jeweils anders wahrgenommen und selten wertfrei erlebt. Der Umgang mit dem Fremden, dem Unbekannten, den fremden Menschen wird weitgehend durch erlerntes Verhalten bestimmt. Er ist meist gefühlsmäßig besetzt und oftmals gesteuert von gesellschaftspolitischen Interessen. Aus diesen Gründen ist es notwendig, die Bezeichnungen zu hinterfragen, die wir für fremde Menschen verwenden. Die Be- nennung von fremden Menschen bloß als „Außenseiterin und Außenseiter“, „Ausländerin und Ausländer“, als „Gastarbeiterin und Gastarbeiter“ oder „Arbeitsmigrantin und Arbeitsmigrant“, als „Flüchtlinge“ oder „Asylwerberin oder Asylwerber“ führt zu einer einschränkenden Sichtweise diesen Menschen gegen- über. Diese Thematik geht quer durch die Gesellschaft: Sie be- trifft die einzelnen Menschen in ihrem privaten Leben, in der Schule, im Arbeitsleben und in der Freizeit sowie im politischen Leben. Gegenwärtig wird die Vorgangsweise, wie „Fremde“ zu „Fremden“ gemacht werden, als „Othering“ bezeichnet: L Das Konzept von Othering erläutert, wie die „Fremden“ zu „Fremden“ [= „andere“; Anm. d. A.] gemacht werden und wie dabei gleichzeitig ein „Wir“ [= „das Eigene“; Anm. d. A.] hergestellt wird. Dieses „Wir“ ist anders als es die „Fremden“ (= Nicht Wir) sind. Es ist beruhigend einfach und sicher: Sind die „Fremden“ wild oder Barbaren, so sind „wir“ zivili- siert; sind die „Fremden“ emotional, so sind „wir“ rational, sind die „Fremden“ Ausländer, so sind „Wir“ die Inländer. (Mecheril u. a., Migrationspädagogik, 2010, S. 42, gek. u. bearb. d. A.) Solche Vorgangsweisen bei der Bezeichnung von fremden Men- schen waren im Laufe der Geschichte immer wieder weit verbrei- tet. Sie gehörten z. B. zur Sprache und zum Denken der zivilisier- ten Römer gegenüber den „barbarischen“ Germanen. Sie gehö- ren aber auch zu den Einstellungen der „westlichen“ Welt im 20. Jh. gegenüber den „Entwicklungsländern“, z. B. in Afrika, Ostasien oder Südamerika. Auf diese Weise hat man eine „west- liche“ Identität geschaffen. Sie hat den „Rest der Welt“ als unzi- vilisierte, unterentwickelte „Gebiete“ verstanden und dement- sprechend behandelt. Umgekehrt haben aber auch die Men- schen in den unterentwickelten Gebieten, in den „Ländern der Dritten Welt“, durch ihre Erfahrungen im 19. und 20. Jh. eine bestimmte Sichtweise von den Menschen der „westlichen Welt“ entwickelt. Diese Einstellungen halten sich hartnäckig bis in die Gegenwart. 3. Das „Eigene“ und das „Andere“ Auch die Menschen, die gegenwärtig in Österreich als Arbeitsmi- grantinnen und Arbeitsmigranten, Asylwerberinnen und Asylwer- ber etc. leben, haben aufgrund ihrer Erfahrungen eine bestimm- te Sichtweise von den Österreicherinnen und Österreichern ent- wickelt. Das „Eigene“ und das „Andere“ ist somit vielschichtiger als zunächst angenommen. Und es ist von der öffentlichen Mei- nung, v. a. den Medien vermittelt. Es ist nämlich zu beachten, dass sich die Ansichten über Unterschiede zwischen dem „Eige- nen“ und dem „Fremden“ unter jeweils bestimmten gesellschaft- lichen, kulturellen und politischen Bedingungen ausgeprägt ha- ben. Solche Unterschiede stehen daher nicht als selbstverständ- lich und unveränderlich fest. Allerdings sind kulturelle Einstellun- gen bei den Menschen ungemein tief verankert. Sie werden nämlich von Geburt an durch die Familie und die umgebende Gesellschaft vermittelt. Dementsprechend schwer sind die er- lernten kulturellen Identitäten und auch entsprechend vorhande- ne Vorurteile zu verändern. Eine Entwicklung zu Verständnis, Offenheit und Toleranz erfordert demnach eine intensive Ausei- nandersetzung mit den Prozessen und Bedingungen, durch wel- che die kulturellen Unterschiede erzeugt werden. L Ein kompetenter Umgang mit Unterschieden darf Kompetenz nicht auf Selbstgewissheit verkürzen, sondern sie muss offen bleiben für kritische Reflexio- nen. Das erfordert, sich des Dilemmas von Festschrei- bung und Vernachlässigung von Unterschieden be- wusst zu sein. (Messerschmidt, 2009, S. 133; zit. u. vereinfacht nach Mecheril 2010, S. 83) Fasse die wesentlichen Aussagen zum Verständnis von „Eigenem“ (= „Wir“) und „Anderem“ (= „Fremdem“) zu- sammen. Ziehe Beispiele aus deinem alltäglichen Leben heran (z. B. im Umgang mit Freundinnen und Freunden in der Schule, in der Freizeit) und analysiere sie unter den in Autorentext und Literatur angesprochenen Gesichtspunkten. Diskutiert ausgehend von eigenen Erfahrungen, wie es geschieht, dass jemand zum Außenseiter bzw. zur Außen- seiterin, zum bzw. zur „Anderen“ gemacht wird. Beurteilt, ob bzw. wie das „Konzept des Othering“ zum Verständnis solcher Prozesse beitragen kann. Von „interkultureller Kompetenz“ zu „interkultureller Öffnung“ Als eine mögliche Umgangsformmit dieser Herausforderung wur- de vorgeschlagen, dass die Menschen in der Schule, in der Ar- beitswelt, im gesamten Alltag eine sogenannte „interkulturelle Kompetenz“ entwickeln sollten. Darunter versteht man zunächst Fähigkeiten wie Kontaktfreudigkeit, Selbstsicherheit, eigenkultu- relle Bewusstheit, die Fähigkeit, Widersprüchliches auszuhalten, Sprachkenntnisse u. a. 80 Politische Bildung Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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