Zeitbilder 5, Schulbuch

„Frauentugenden“ und männliche Erwartungen Der Geschichtsschreiber Thukydides lässt Perikles in seiner „Gefallenenrede“ Folgendes über die „Frauentu- genden“ sagen: Q Soll ich auch noch der Frauen, die nunmehr Wit- wen geworden sind, gedenken und von der Frau- entugend sprechen, so kann ich alles in die kurze Ermahnung zusammenfassen: Erfüllet ohne Rest die Pflichten, die eure Natur euch zuweist, so wird man euch loben, und wenn von einer Frau, sei es zum Gu- ten, sei es im Bösen, unter Männern möglichst wenig gesprochen wird, so ist das ihr höchster Ruhm. (Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges II, S. 45) In diesem Text ist von der „Natur der Frau“ die Rede. Erläutere, welche Eigenschaften damit gemeint sein könn- ten bzw. ob man auch heute noch von „natürlichen“ Ei- genschaften einer Frau/eines Mannes spricht. Höhere Berufe, die Bildung und Ausbildung erforderten, blieb den meisten Frauen verwehrt. Dennoch gab es un- ter ihnen Persönlichkeiten wie Aspasia, die Lebensge- fährtin des Perikles. Ihre Bildung und Ausstrahlung wur- de von griechischen Philosophen und Geschichtsschrei- bern gerühmt. Dem Staatsmann Perikles wurde die Ver- bindung mit ihr zum Vorwurf gemacht, meint jedenfalls der französische Historiker Flacelière: L Niemand hätte etwas dabei gefunden, wenn Pe- rikles Knaben oder junge Männer zum Gegen- stand seiner Liebe gemacht oder auch wenn er seine erste Frau schlecht behandelt hätte; dass er aber die zweite Frau als ein menschliches Wesen ansah, dass er wirklich mit ihr zusammenlebte, anstatt sie in den Gynaikon zu verbannen, dass er Freunde mit ihren Frauen zu sich einlud, das war der eigentliche Stein des Anstoßes. All das war viel zu erstaunlich, um als natürlich gelten zu können, und für eine ehrbare Frau schien Aspasia allzuviel Glanz zu verbreiten. (Flacelière, Griechenland. Leben und Kultur in klassischer Zeit, 1979, S. 104 f.) Die rechtlose Frau Frauen und Sklavinnen und Sklaven hatten in Athen ei- nes gemeinsam: Sie waren politisch und juristisch gese- hen rechtlos. Die Stellung der Frau war zur Zeit des Pe- rikles besonders schlecht. Die Athenerin erlangte nie- mals größere Handlungsfreiheit. Die Herrschaftsgewalt des Hausherrn erstreckte sich über die gesamte Familie und ebenso über deren Besitz. In allen Rechtsangele- genheiten musste sich die Frau von einem Mann vertre- ten lassen, ihre Zeugenaussage vor Gericht hatte nur bedingte Gültigkeit. Auch das Scheidungsrecht benachteiligte die Frau: Stets wurde sie als schuldig betrachtet, wenn eine Ehe wegen Kinderlosigkeit oder Zwistigkeiten – das waren die häu- figsten Gründe – geschieden wurde. Der Mann konnte seine Frau auch ohne Begründung einfach verstoßen. Sie aber musste mit dem Beistand ei- nes männlichen Verwandten die Scheidungsklage per- sönlich beim zuständigen Archon einbringen. Selbst wenn die Frau Recht bekam, blieben die gemeinsamen Kinder beim Mann. Im Gegensatz zu den Frauen waren den Männern auch außereheliche Beziehungen erlaubt:  Mutter und Kind in einem Kinderstuhl. (Griechische Vasenmalerei, rotfigurig, 5. Jh. v. Chr. Aquarell von Peter Connolly) Q Ein Freudenmädchen [Prostituierte] halten wir um der Lust willen, die Hetäre [Freundin] um der Pflege unserer täglichen Unterhaltungsbedürfnisse willen, die Ehefrauen aber, damit sie uns rechtmäßige Kinder schenken und treue Wächterinnen unseres Hauses seien. (PseudoDemosthenes, Rede gegen Neaira, S. 122) Die Mädchen armer attischer Bürger wurden oft als Hetä- ren verkauft, da es an der Mitgift fehlte; Sklavinnen oder Metökinnen mussten hingegen viel häufiger ein Leben als Prostituierte führen. Diese waren in der von Männern do- minierten attischen Gesellschaft durchaus geduldet. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Stelle die Lebenssituation und die Rechte der männlichen Vollbürger sowie die der männlichen Metöken dar. Verglei- che sie mit jener der heutigen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sowie Immigrantinnen und Immigranten. 2. Vergleiche die Lebenssituation der attischen Frauen mit der von Frauen heute. Welche Ansprüche stellt die gegenwärti- ge Industriegesellschaft an „moderne“ Frauen? 3. In der österreichischen Verfassung, im Eherecht und auch durch die Menschenrechte sind Mann und Frau gleichge- stellt. Vergleiche Recht und Wirklichkeit heute und stelle sie dem attischen Recht gegenüber. 4. Recherchiere in einem Lexikon oder im Internet über die griechische Polis Sparta: Sie wurde schon in der Antike als gegensätzliches Ideal zu Athen dargestellt. Beschreibe die politische Organisationsform im antiken Sparta. Schildere die Rechte und Pflichten, die Männer, Frauen, Kinder, Frem- de (= Nicht-Spartiaten) dort hatten. Die antike Welt – Griechenland und Rom 27 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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