Zeitbilder 5, Schulbuch

5. Gesellschaft und Recht in der attischen Polis Nur Männer sind Vollbürger Im Gegensatz zur „repräsentativen“ Demokratie im heutigen Österreich gab es in Athen zur Zeit des Peri­ kles die Form der „direkten“ Demokratie: Alle männli- chen Bürger über zwanzig Jahren nahmen in der Ekkle- sia (= Volksversammlung) direkt an allen wichtigen Ge- setzesbeschlüssen teil. Die etwa vierzig Volksversammlungen pro Jahr dauer- ten zumeist einen ganzen Tag. Jeder Bürger hatte dabei das Recht, auf freie Rede sowie das Recht Anträge zu stellen. Abgestimmt wurde entweder durch Handheben oder geheim mit Hilfe von „Stimmsteinen“. Freilich war es gerade den Bauern zur Erntezeit nicht immer mög- lich, an diesen im Freien abgehaltenen Versammlungen teilzunehmen. Das erklärt auch, warum bei so bedeuten- den Entscheidungen wie dem Scherbengericht schon 6000 Stimmen genügten (bei einer geschätzten Bürger- zahl von 40000), um über die Verbannung eines Bürgers zu entscheiden. Beamte werden geprüft und bezahlt Mitglied im Rat der 500 durfte ein attischer Bürger nur zweimal in seinem Leben sein. Deshalb bestand für je- den Athener eine große Chance, dieses mäßig bezahlte Amt (1 Drachme pro Tag, ein guter Arbeiter verdiente zwei) zumindest einmal in seinem Leben ausüben zu können. Mehr als 20000 Bürger, meint der griechische Philosoph Aristoteles, hätten wenigstens zeitweise im Staatsdienst gearbeitet, allein 6000 davon in den Geschworenenge- richten. Dazu kamen noch zahlreiche Finanzbeamte, Strafen- und Schuldeneintreiber sowie die Verwalter der öffentlichen Besitztümer. Vor ihrer Einsetzung wurden die Beamten auf ihre Eignung hin überprüft:  Kleroterion aus Athen. Dabei handelt es sich um eine Losmaschine mit nummerierten Kugeln für die Verlosung öffentlicher Ämter. (4. Jh. v. Chr., Fundort: Agora, Athen) Q Sie fragen bei der Prüfung zuerst: „Wer ist dein Vater, welcher der Demen [= Gemeinden, Anm. d. A.] gehört er an, und wer ist der Vater deines Vaters? Und wer ist deine Mutter, wer der Vater dei- ner Mutter und welcher der Demen gehört er an?“ Danach fragen sie, ob der Kandidat einen Altar des Apollon Patros und einen des Zeus Herkeios habe [traditionelle Familiengötter; Anm. d. A.] [...]; dann, ob er Familiengräber habe und wo sie lägen; sodann ob er seine Eltern gut behandle, seine Steuern bezah- le und die Feldzüge mitgemacht habe [...]. Nachdem der Kandidat [für seine Angaben] einen Zeugen aufgeboten hat, fragt der Vorsitzende: „Will jemand gegen diesen Mann klagen?“ Und wenn ein Kläger da ist, lässt der Vorsitzende Klage und Vertei- digung zu und lässt dann abstimmen, im Rat durch Handzeichen, im Gericht durch Stimmsteine. Wenn aber niemand Klage erheben will, lässt er sofort ab- stimmen [...]. Sind die Kandidaten auf diese Weise geprüft, gehen sie zu dem Stein, auf dem das Opferfleisch liegt [...].Auf diesen Stein treten die Amtsträger und schwören, ihr Amt gerecht und gemäß den Gesetzen auszuüben, keine Geschenke auf Grund ihres Amtes anzunehmen und, falls sie doch etwas annähmen, ein goldenes Standbild zu weihen. Nach dem Schwur ge- hen sie von da aus zur Akropolis und legen dort noch einmal den gleichen Eid ab, und danach treten sie ihr Amt an. (Zit. nach Aristoteles, Der Staat der Athener; übers. u. hg. von Dreher, Stuttgart, 1993, S. 88) Fasse den „Eignungstest“ zusammen und beurteile aus heutiger Sicht, was daran notwendig und/ oder sinnvoll erscheint und was nicht. Arbeite Fragen aus, mit denen du heute testen würdest, ob jemand zur Tätigkeit als Beamtin oder Beamter geeignet ist.  Bronze-Stimmscheiben aus Athen. Damit stimmten die Richter über ihr Urteil ab. Der massive Griff bedeutete Freispruch, der hohle Schuld- spruch. Inschrift: „Amtliche Stimmscheibe“. (4. Jh. v. Chr., Fundort: Gerichtsgebäude auf der Agora von Athen) 24 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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