Zeitbilder 5, Schulbuch

teil aber „fand“ nicht er, sondern die „umstehende“ Versammlung. Für diese suchte der Richter im Recht erfahrene Männer, so genann- te Schöffen, aus. Diese Form, das Volk am Gerichtsverfahren zu betei- ligen, gibt es noch heute: Bei allen Verhandlungen über schwere Ver- brechen entscheiden Laien – Schöf- finnen und Schöffen oder Ge- schworene – über Schuld oder Un- schuld der/des Angeklagten. Mittelalterliches Recht unterscheidet sich dennoch ganz wesentlich von „modernem“ Recht. Mit der Ausbil- dung von Lehenswesen und Grund- herrschaft (vgl. S. 90 f.) waren für die verschiedenen sozialen Gruppen unterschiedliche Gerichte zuständig. Es gab das: −− Dorfgericht und Grundherrschaft- liche −− Gericht: In den Dorfgemeinden der freien Bauern lebten die alten Volksversammlungen fort. Seit dem 12. Jh. übten die Grundher- ren nicht nur über ihre hörigen, sondern auch über die freien Bau- ern die „niedere Gerichtsbarkeit“ (= keine Todesstrafen) aus. −− Stadt- und Marktgericht: Es war für die Rechtsstreitigkeiten aller Bürger in den Städten und Märk- ten zuständig. Die Stadtrichter übten die „Blutgerichtsbarkeit“ aus. −− Land- und Hofgericht: Dort wur- den Rechtsstreitigkeiten der Ade- ligen ausgetragen. Das Richter­ Recht im Mittelalter Während im spätantiken Römischen Reich das Recht höchst entwickelt und eine eigene Wissenschaft war, galt für die zahlreichen germani- schen Völker noch immer das alte Gewohnheitsrecht. Es galt der Grundsatz „altes Recht ist gut“ bzw. „gutes Recht ist alt“. Es war nicht schriftlich fixiert, sondern wurde von Generation zu Generation mündlich weitergegeben. Erst durch den Kon- takt mit den Römern kam es zu ers- ten Gesetzesaufzeichnungen – wie dem Gesetz der Westgoten (um 475) oder dem der Franken (um 510). Im 7. und frühen 8. Jahrhundert folgten die Volksrechte der Alaman- nen und der Bayern. Diese in einem Vulgärlatein (= ein mit der eigenen Sprache vermischtes Latein) verfas- sten Aufzeichnungen enthielten familien- und erbrechtliche-, straf- und prozessrechtliche Bestimmun- gen. Daneben galt aber nach wie vor das mündlich überlieferte Recht. Gemeinsam war diesen Völkern die Art der (alten) Rechtsprechung: Das Recht wurde in der Stammes- oder Volksversammlung der freien und wehrfähigen Männer (= Thing) „gefunden“. Es war also öffentlich, fand an festgesetzten Tagen, an ge- nau bestimmten und meist einge- zäunten Orten unter freiem Himmel statt. Die Leitung hatte der jeweilige Stammesführer – der König oder Herzog. Er war der Richter, das Ur- amt übte der Herzog oder ein von ihm eingesetzter Mann aus. −− Kirchliche Gerichtsbarkeit: Die katholische Kirche richtete über alle Geistlichen sowie über Ehestreitigkeiten bei Laien. −− Sondergerichte: Sie galten für bestimmte Personengruppen, z. B. für Universitäten, Jüdinnen und Juden, Bettlerinnen und Bettler oder das „fahrende Volk“. Seit dem 12. Jh. wurde die Sühnege- richtsbarkeit (z. B. in Form des Bußgeldes) durch die Blutge- richtsbarkeit abgelöst. Vergeltung und Abschreckung statt Aussöh- nung wurde nun zum Rechtsprin- zip – nicht mehr nur bei Unfreien, sondern auch bei Freien: L Die Todesstrafe wurde auf ver- schiedene Weise vollstreckt. Manche Vollzugsakte der Todes- strafe wie das Hängen wurden nur bei Männern, andere wie das Le- bendigbegraben oder das Erträn- ken nur bei Frauen angewendet. Weitere Vollzugsarten waren das Enthaupten, das Rädern, das Vier- teilen, das Verbrennen auf dem Scheiterhaufen und das Sieden in kochendem Wasser oder Öl. Vor dem Vollzug der Todesstrafe wur- den dem Delinquenten häufig durch den Vollzug von Verstümme- lungsstrafen Qualen zugefügt. Wenn der Vollzug der Todesstrafe misslang, indem der Scharfrichter mit dem Schwert danebenschlug oder der Strick des Henkers riss, dann wurde vielerorts die Todes- strafe nicht mehr vollstreckt, und der Verurteilte war frei. (Hoke, Österreichische und deutsche Rechts­ geschichte, 1996, S. 126) Im 13. Jh. kam es mit dem „Sach- senspiegel“ (um 1230) und dem „Schwabenspiegel“ (um 1275) zu den nächsten Rechtsaufzeichnun- gen – erstmals in mittelhochdeut- scher Sprache: Sie wurden von Pri- vatleuten verfasst. Sie beinhalteten sowohl das geltende Gewohnheits- recht im Deutschen Reich als auch vom Kaiser erlassene reichsrechtli- che Bestimmungen. In den folgen- den Jahrhunderten wurden diese Aufzeichnungen wie Gesetze ausge- legt. In diese Zeit fällt auch die Aufzeich- nung der ersten so genannten  Der Mann hackt die über den Zaun hängenden Äste des wilden Hopfens ab (Überhangrecht). Dieses Recht hat sich von den römischen Zwölf-Tafel-Gesetzen bis ins heutige moderne Bürgerliche Gesetzbuch gehalten (§ 422, ABGB 1811). (Aus dem Sachsenspiegel, Buchmalerei um 1300/1315, Universitätsbibliothek Heidelberg) Längsschnitt 150 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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