Zeitbilder 7/8, Arbeitsheft

8 Handlungsspielräume von Individuen 8.2 Lebensplanung und -konzepte | 16. Jh. – Gegenwart Heute haben die meisten Menschen sehr viele Möglichkeiten, selbst zu bestimmen, wie sie ihr Leben gestalten wollen. Noch vor 100 Jahren war der Lebensweg für die meisten vorgezeichnet, planbar und unveränderlich. Zwei Weltkriege, die damit verbundenen gesellschaftlichen Umbrüche, einschließlich der Emanzipation der Frauen, haben diese Situation völlig verändert. Wir haben dadurch sehr viele Freiheiten gewonnen, müssen aber auch Verantwortung für unsere eigene Lebens- planung übernehmen. Es lohnt sich also, sehr sorgfältig darüber nachzudenken, wie man sein eigenes Leben ge- stalten möchte und selbstbestimmte Entscheidungen für die Zukunft treffen kann. M1 Thomas Morus geht zu Beginn des 16. Jh. in seiner Staatsutopie davon aus, dass die meisten Söhne den Beruf ihres Vaters ergreifen wollen. Für den Fall, dass ein Sohn etwas anderes lernen möchte, hat er einen Vorschlag: (…) Die übrigen anstrengenderen Arbeiten überlässt man den Männern, fast jeder wird im Handwerk sei- nes Vaters ausgebildet. Denn dorthin tendieren die meisten von Natur aus. Wenn aber irgendjemand ein anderes Handwerk ausüben möchte, wird er von ei- ner Familie adoptiert, in der das Handwerk ausgeübt wird, für das er sich interessiert. Dabei achtet nicht nur sein Vater, sondern auch die Beamten achten darauf, dass er einem anständigen und ehrenhaften Familienvater anvertraut wird. (…) (Morus, Thomas: Utopia. 2. Buch: Die Handwerke. Erstausgabe 1516; Originaltext online auf: http://www.thelatinlibrary.com/more.html ; (10.3.2017; Übers. d. A.) M2 Anzeige des Lehrers Wertheim für eine junge Lehrerin aus dem Jahr 1877, Alzey, Rheinhessen: Ein jung. Mädchen, 18 Jahre alt, a. gut Familie, das die Prüfung f. Lehrerinnen an höher. Töchterschulen bestanden u. die besten Zeugnisse aufzuweisen hat, sucht Stellung. Es wird weniger auf Gehalt, als auf angenehme Stellung gesehen. Gefl. [=Gefällige; Anm.d.A.] Offerten besorgt Lehrer Wertheim. Alzey, Rheinhessen. (In: Anzeigenteil der Allgemeinen Zeitung des Judenthums, 41. Jg., Nr. 40 vom 2.10.1877, S. 642) M3 Bis weit ins 20. Jh. war es durchaus üblich, (fast) das ganze Berufsleben in einer Firma zu verbringen. In heu- tigen Arbeitsbiografien spielen hingegen lebenslange Fortbildung und „Job-Hopping“ meist eine wichtige Rolle. Die Soziologin Uta Beckhäuser gibt in ihrem Blog auf „job.at “ Tipps für Job-Hopper: N ichts überstürzen: Versuchen Sie, zumindest zwei Jahre in einem Unternehmen zu bleiben (…) Verlassen Sie Ihr altes Unternehmen im Guten und fragen Sie immer nach einem Arbeitszeugnis Bewahren Sie Kontinuität: Knüpfen Sie an vorhande- ne Qualifikationen an Begründen Sie Ihren Wechsel auch mit den Vorzü- gen Ihres neuen Arbeitgebers, reine Karriereambi- tionen sprechen eher gegen Sie In jedem Job müssen Sie sich neu beweisen, geben Sie deshalb in der Probezeit alles Flexible Menschen, die in unterschiedlichen Berei- chen gearbeitet haben, sollten auf den „roten Fa- den” im Lebenslauf achten. Denn auch hier kann Kontinuität wichtiger sein als das jahrelange Verwei- len in ein und derselben Firma und Position. (…) (Beckhäuser, Uta: Job-Hopping– ist der häufige Jobwechsel positiv? Beitrag am 24.2.2014 auf “job.at ”; online auf: http://www.job.at/ blog/jobwechsel/job-hopping-ist-der-haeufige-jobwechsel-positiv/; 10.4.2015) M4 Erwerbs- und Teilzeitquoten der 25- bis 49-Jährigen nach Familientyp und Geschlecht in Österreich, 1994–2014 Jahre Erwerbsquoten: 25- bis 49-Jährige Teilzeitquoten: 25- bis 49-Jährige ohne Kinder bzw. mit Kindern ab 15 J. mit Kindern unter 15 J. 1994 - Männer 90,9 3,8 97,9 2,2 1994 - Frauen 80,1 19,0 64,7 39,9 2014 - Männer 89,7 9,7 96,0 6,1 2014 - Frauen 89,1 32,4 79,0 74,3 ** Statistik Austria, erstellt am 18.3.2015. Erwerbstätigkeit nach ILO (= International Labour Organization): Personen ab e. wöchentl. Nor­ malarbeitszeit von mind. 1 St.; bis 2003 Klassifikation Vollzeit/Teilzeit nach Stundengrenze (bis 35 St.), ab 2004 Selbstzuordnung. M5 In Japan, China und Südkorea herrschen bestimmte Vorstellungen vom Verlauf eines Arbeitslebens: Konfuzius (…) formulierte Regeln für das Zusam- menleben der Menschen und forderte Tugenden wie Tüchtigkeit, Treue und Zuverlässigkeit. „Diese Tradi- tion hat großen Einfluss auf die Arbeitsmentalität der Menschen”, sagt Iris Wieczorek, Japan-Expertin am Institut für Asienkunde in Hamburg. Positiv auf die Motivation der Menschen wirkt der starke Bezug auf das Diesseits, das Hier und Jetzt. „Das spornt die Menschen an, ihr Leben selbst in die Hand zu neh- men und nicht auf das Paradies zu hoffen”, sagt Siegfried Englert, Professor am Ostasieninstitut der FH Ludwigshafen. Allerdings haben die von Konfuzius formulierten Tu- genden nicht nur Vorteile. So fordert er von den Menschen eine starke Unterordnung, um in der Ge- meinschaft ein Ziel zu erreichen. „Die Menschen bringen sich bis zur Unkenntlichkeit in das Kollektiv ein, was häufig Eigenverantwortung und Kreativität zerstört”, sagt Asienkenner Englert. Probleme bringt auch die hohe Loyalität zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Zwar sind die Mitarbeiter ihrem Unter- nehmen meist treu ergeben, andererseits garantiere 62 Nur zu Prüfzwecken – E igentum des Verlags öbv

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