Zeitbilder 7/8, Arbeitsheft

6 Friedenssicherung und Menschenrechte 6.2 Der Internationale Strafgerichtshof (ICC) und Afrika | Gegenwart Im Jahr 1998 wurde in Rom ein Statut unterzeichnet, durch das der Internationale Strafgerichtshof (ICC = Inter- national Criminal Court) gegründet wurde. 2002 nahm der Gerichtshof seine Arbeit auf, nachdem 120 Staaten dieses Statut von 1998 auch ratifiziert hatten. Der ICC ist demnach für vier Arten von Verbrechen zuständig: 1. Verbrechen gegen die Menschlichkeit; 2. Kriegsverbrechen; 3. Völkermord; 4. Angriffskrieg. Was darunter ver- standen werden sollte, blieb aber bis 2010 umstritten. In diesem Jahr erfolgte auch die Einigung darüber, dass eine Strafverfolgung in diesem Punkt erst ab dem Jahr 2017 möglich sein sollte. Die Eröffnung eines Strafverfahrens durch den ICC ist an Bedingungen geknüpft: –– Der/die Täter müssen einem Staat angehören, der das Statut von 1998 ratifiziert hat und bereit ist, diese an den ICC zu überstellen. –– Die Verbrechen müssen auf dem Territorium eines solchen Staates begangen worden sein. –– Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen muss einen entsprechenden Beschluss fassen. Allerdings haben von den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates, die ein Vetorecht haben, nur Großbri- tannien und Frankreich das Statut von 1998 ratifiziert; nicht die USA, Russland und China (vgl. Zeitbilder 7, S. 113 bzw. Zeitbilder 7/8, S. 179). Vor allem auch afrikanische Staaten setzten sich für die Errichtung des ICC ein. Aktuell (2015) hat der ICC aus- schließlich Anklage gegen Afrikaner erhoben. Nicht alle Anklagen führten auch zur Eröffnung eines Strafverfah- rens. M1 Die erste Anklage und auch das erste Strafverfahren betraf Thomas Lobanga, einen Rebellenführer aus der Demokratischen Republik Kongo. Ihm wurde die „Zwangsverpflichtung von Kindersoldaten“ vorgeworfen (vgl. Kap. 7.3, S. 52 f.). Die Demokratische Republik Kongo hatte das Statut von 1998 anerkannt, Lobanga inhaftiert und an den ICC überstellt. Das Urteil erfolgte im Jahr 2012, nach einer fast zehnjährigen Verfahrens- dauer. Gegenwärtig ist ein Berufungsverfahren im Gang. An der Dauer des Verfahrens und seinen Kosten wurde Kritik geübt. Dazu sagten die Völkerrechtsexper- ten und Politikberater David Scheffer und Manfred Novak in einem Interview mit der österreichischen Ta- geszeitung „Der Standard“: Scheffer: „Ja, dafür gibt es aber Erklärungen. Etwa, dass es meist langwieriger ist, Verbrechen dieser Grö- ßenordnung zu untersuchen als etwa einen normalen Mord. Und dann war es auch das angriffige Vorgehen der Verteidigung – aber das ist meines Erachtens eine positive Nachricht. Es zeigt, dass am ICC die Beschul- digtenrechte ernst genommen werden.” (…) Nowak: „Entweder wollen wir diese internationale Gerichtsbarkeit gegen die extremsten Formen der Grausamkeit, oder wir wollen sie nicht. Wenn ja, so kostet das Geld. Die Prävention durch Urteile wie ge- gen Lobanga ist nicht zu unterschätzen. So kommt dieses Gericht weit billiger, als wenn man Staaten nach Bürgerkriegen beim Wiederaufbau helfen muss.” (Der Standard vom 20. März 2012, S. 2) M2 Die Kritik, dass der ICC zu langsam arbeite, berief sich u. a. auf die kürzere Prozessdauer bei temporär einge- richteten internationalen Gerichtshöfen; wie z. B. bei jenen Verbrechen, die in den 1990er-Jahren während der Kriege in Jugoslawien begangen wurden. Dazu schrieb „Der Standard“ unter Berufung auf Christoph Safferling, einen der Direktoren des Forschungszentrums für Kriegsverbrecherprozesse in Marburg/Lahn (BRD): Trotzdem hat eine permanente Einrichtung wie der ICC Vorteile, sagt Safferling. „Sie hat ein anderes Abschreckungspotential. Es muss klar sein, dass es eine permanente Institution gibt, die über die Ein- haltung einer Norm, in diesem Fall der Menschen- rechte, wacht.“ NGOs und andere Beobachter müs- sten aufhören, den ICC als Allheilmittel zu sehen, sagt Safferling. „Er kann nur für die allerschwersten Jungs (sic) zuständig sein“ – um die anderen müs- sten sich die Nationalstaaten selbst kümmern. Das Problem: In vielen Strafgesetzbüchern kommen völ- kerrechtliche Delikte gar nicht vor. (…) So lange sich das nicht ändert, werde der ICC überfordert sein. (Der Standard vom 20. März 2012, S. 3) M3 Der ICC war ein zentrales Thema im Präsidentschafts- wahlkampf in Kenia im Jahr 2013. Gegen den Kandida- ten Uhuru Kenyatta hatte der ICC 2011 Anklage erho- ben. Ihm wurde Verantwortlichkeit für „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ im Präsidentschaftswahl- kampf 2007 vorgeworfen. Kenyatta gewann dennoch die Wahl. Im Jahr 2014 zog der ICC seine Anklage ge- gen Kenyatta zurück. Dazu heißt es in der englischen Wochenzeitung „The Guardian Weekly“ unter Berufung auf ein Interview mit der Vertreterin der Anklage, Fatou Bensouda aus Gambia: She accused the Kenyan government of harassing and intimidating potential witnesses. „This is a painf- ul moment for the men, women and children who have suffered tremendously from the horrors of the post-election violence, and who have waited, patient- ly, for almost seven years to see justice done.“ (…) In her statement, Bensouda blamed the Kenyan govern ment for obstructing her investigations. „Contrary to the government of Kenya´s public pronouncements (…) in fact it has breached its treaty obligations un- der the Rome statute (…)“ (The Guardian Weekly vom 12. Dezember 2014, S. 4) 44 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=