Zeitbilder 7/8, Arbeitsheft

5 Ideologie und Propaganda 5.3 Russland | Gegenwart Politikerinnen und Politiker wollen mit ihren Botschaften möglichst wirksam und erfolgreich die öffentliche Mei- nung beeinflussen. Siehe dazu die Einleitung zu Kapitel 5.1, S. 36. Ebenso wie in den USA und mit ähnlichen Zielen, hält auch in Russland der Präsident einmal im Jahr – normalerweise im Dezember – seine Ansprache „zur Lage der Nation“. Die Zuhörerschaft besteht aus den Abgeordneten der beiden Kammern des Parlaments, gelade- nen Gästen sowie nationalen und internationalen Medienvertretern, die eine weltweite Öffentlichkeit informieren. M1 Auszüge aus Wladimir Putins 70minütiger Rede an die Nation am 4. Dezember 2014: (…) Dieses Jahr sind wir gemeinsam durch Bewäh- rungsproben gegangen, die nur eine reife, konsoli- dierte Nation und ein wahrlich souveränes, starkes Land meistern kann. Russland hat (…) bewiesen, dass es seine Landsleute beschützen und Wahrheit und Gerechtigkeit ehrenhaft verteidigen kann. Unser Land hat es euch zu verdanken, den Bürgern Russlands. (…) Wir haben die Kontinuität und die Inte- grität des tausendjährigen Weges unseres Vaterlands begriffen. Und wir glauben an uns (…) Wie Sie wissen, fand im März dieses Jahres ein Refe- rendum auf der Krim statt, bei dem die Bewohner der Halbinsel deutlich ihren Wunsch bekundet haben, sich mit Russland zu vereinen. (…) Und schließlich erfolgte eine historische Wiedervereinigung der Krim und Se- wastopols mit Russland. Für unser Land und unser Volk hat dieses Ereignis eine besondere Bedeutung. Denn auf der Krim leben unse- re Leute, denn das Gebiet ist von strategischer Bedeu- tung, denn hier (…) liegen die spirituellen Ursprünge der (…) russischen Nation und des zentralisierten rus- sischen Staates. Hier (…) wurde erstmals Fürst Wladi- mir getauft, der anschließend ganz Russland taufte. (…) wir [können] sagen, dass die Krim (…) eine riesige zivilisatorische und sakrale Bedeutung für Russland hat. Genau wie der Tempelberg in Jerusalem für Mos- lems und Juden. (…) Es ist gut bekannt, dass Russland die Ukraine und an- dere Bruderrepubliken der ex-UdSSR bei ihrem Streben nach Souveränität nicht nur moralisch unter- stützte, sondern bei diesem Prozess Anfang der 1990er Jahre in bedeutendem Maße half. (…) Jedes Volk hat sein unveräußerliches souveränes Recht auf einen ei- genen Entwicklungsweg, auf die Wahl von Verbünde- ten, der Form der politischen Organisation der Gesell- schaft, des Aufbaus der Wirtschaft und der Gewähr- leistung seiner Sicherheit. Russland respektiert dies und wird dies stets respektieren. (…) Ja, wir haben den Staatsstreich verurteilt, die ge- waltsame Machtergreifung in Kiew im Februar dieses Jahres. (…) Wie kann man die anschließenden Versuche unterstüt- zen, mithilfe von Streitkräften die Einwohner des Sü- dostens niederzuringen, die mit dieser Willkür nicht einverstanden waren? All das wird begleitet von heuchlerischer Rhetorik über internationales Recht und Menschenrechte. (…) Und wie hat sich von Anfang an unser Dialog mit ame- rikanischen und europäischen Partnern zu diesem The- ma entwickelt? Ich habe nicht zufällig die amerikani- schen Freunde erwähnt, denn die beeinflussen stets die Beziehungen zu unseren Nachbarn, offen oder ver- deckt. Manchmal ist sogar nicht klar, mit wem es sich eher lohnt, zu verhandeln: mit Regierungen mancher Staaten oder direkt mit ihren amerikanischen Förderern und Sponsoren. Im Falle des Assoziierungsabkommens der Ukraine mit der EU gab es überhaupt keinen Dialog (...). Man hat uns gesagt, dass das uns nichts angeht. Alle Argumente, dass Russland und die Ukraine Mit- glieder der GUS-Freihandelszone sind, dass wir eine historisch gewachsene enge Kooperation (…) haben und de facto Teil einer einheitlichen Infrastruktur sind, all das wollte man weder sehen noch hören. (…) Wenn für einige europäische Staaten der Nationalstolz ein längst vergessener Begriff ist und die Souveränität ein zu großer Luxus, so ist für Russland die reale staat- liche Souveränität eine absolut unumgängliche Bedin- gung seiner Existenz. (…) Man muss die legitimen Interessen aller Teilneh- mer des internationalen Lebens mit Respekt behan- deln. Nur in diesem Fall kann die Welt verlässlich vor blutigen Konflikten geschützt werden, nicht durch Ka- nonen (…), sondern durch die Normen des Rechts. Dann wird es nicht nötig sein, jemandem, indem man sich selbst belügt, mit imaginärer Isolation zu drohen. Oder mit Sanktionen, die zwar Schaden anrichten, aber allen, darunter auch ihren eigenen Initiatoren. Übrigens, zu den Sanktionen. Das ist nicht bloß eine nervöse Reaktion der USA und ihrer Verbündeten auf unsere Position im Zusammenhang mit den Ereignis- sen und den Staatsstreich in der Ukraine oder mit dem sogenannten „Krim-Frühling”. Ich bin überzeugt, dass auch ohne all dies ein Vorwand gefunden worden wäre, um die wachsenden Möglichkeiten Russlands einzudämmen, es zu schwächen (...). Diese Eindämmungspolitik (…) wird gegen unser Land bereits viele Jahre betrieben (…). Kurzum, jedes Mal, wenn jemand denkt, dass Russland zu stark und zu selbstständig geworden ist (…) Im nächsten Jahr werden wir den 70sten Jahrestag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg begehen. Un- sere Armee besiegte den Feind und befreite Europa. Doch auch die schweren Niederlagen der Jahre 1941 und 1942 dürfen wir nicht vergessen (…). In diesem Zusammenhang werde ich Fragen aus dem Bereich der internationalen Sicherheit anreißen. (...) Dazu zählt der Kampf gegen den Terrorismus (…) wir werden an der gemeinsamen internationalen Arbeit [dagegen] teilnehmen. (…) Seit dem Jahr 2002, nach der einseitigen amerika- nischen Kündigung des ABM-Vertrags 1 , der einen Eck- stein der globalen Sicherheit, des strategischen Gleich- gewichts und der Stabilität darstellte, wird hartnäckig an der Schaffung des globalen Raketenabwehrsystems 40 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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