Zeitbilder 7/8, Arbeitsheft

2 Gedenk- und Erinnerungskulturen 2.2 Flucht aus der DDR | Mitte 20. Jh. – Gegenwart Die Teilung Deutschlands in zwei Staaten– die BRD und die DDR– ist Geschichte. Im wiedervereinigten Deutsch- land gibt es aber noch viele Relikte und Spuren davon. Auch Gedächtnisorte, wie z. B. die „Gedenkstätte Berliner Mauer“ und das Berliner „Mauer-Museum“, erinnern an die Probleme der Menschen im Alltag einer „sozialisti- schen Diktatur“, an spektakuläre Fluchten und Fluchtversuche und auch an die getöteten Flüchtlinge an der Ber- liner Mauer. Deutschland war nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, ebenso wie Österreich, in vier alliierte Besatzungszo- nen aufgeteilt worden (vgl. Zeitbilder 7, S. 114 bzw. Zeitbilder 7/8, S. 166). Bald setzte eine große Fluchtbewegung aus der sowjetisch besetzten Zone in die drei westlichen Zonen ein. Seit der Gründung der DDR flohen bis 1961 ca. 2,7 Mio. Menschen in den Westen. Das entsprach etwa einem Siebtel der Gesamtbevölkerung. Da die DDR ihre Grenze zur Bundesrepublik hermetisch (mit Stacheldraht, Wachtürmen, „Todesstreifen“ etc.) abgeriegelt hatte, verließen die meisten Flüchtlinge die DDR über die geteilte Hauptstadt – von Ost- nach Westberlin. Das war auch der Hauptgrund für den Mauerbau, der am 13. August 1961 begann. Durch ihn wurde die „Republikflucht“, wie die offizielle DDR dies nannte, nahezu unmöglich. Missglückte Fluchten bezahlten manche mit ihrem Leben oder mit langjährigen Haftstrafen. Trotz der drohenden Gefahren unternahmen Menschen aus der DDR immer wieder Fluchtversuche: Einige ver- steckten sich in Autos oder versuchten mit speziell präparierten Fahrzeugen die Grenzbefestigungen zu durchsto- ßen. Andere wollten in selbstgebauten Heißluftballonen, in Flugzeugen, ja sogar in Mini-U-Booten entkommen. Bis zum Fall der Mauer gab es mehr als 70 versuchte oder vollendete Tunnelbauten zwischen Ost- und West-Ber- lin. Mindestens 264 Menschen gelang dadurch die Flucht. Die meisten Tunnels wurden von West-Berlin aus von „Fluchthelfern“, die oft selbst aus der DDR geflüchtet waren, gegraben. M1 Zum Thema „Ausreise“: Bürgerinnen und Bürger der DDR hatten grundsätz- lich kein Recht auf Auswanderung. Allerdings konn- te man, um auf Dauer in der Bundesrepublik Deutschland leben zu können, einen Ausreiseantrag stellen, der offiziell als „Übersiedlungsgesuch“ be- zeichnet wurde. Bis zum Jahr 1983 gab es in der DDR überhaupt keine rechtliche Grundlage, einen solchen Antrag zu stellen. Erst ab diesem Zeitpunkt konnte man außer als Rentner oder Invalide auch aus Gründen der „Familienzusammenführung“ eine Ausreise beantragen. Dieser Antrag galt jedoch trotzdem noch bis 1989 als ungesetzlich. Eine stän- dige Ausreise bzw. eine „Entlassung aus der Staats- bürgerschaft der DDR“ war für viele Menschen eine Alternative zur Flucht. Antragstellern wurde häufig der Personalausweis weggenommen und sie beka- men ein Behelfspapier, sodass jeder bei einer Kon- trolle erkannte, dass sie „negative feindliche Ele- mente“ waren, die die DDR verlassen und nach Staatsmeinung deren Prinzipien damit verraten wollten. Oft dauerte die Bewilligung eines solchen Antrags Jahre, wenn er überhaupt bewilligt wurde. Währenddessen mussten die Antragsteller mit er- heblichen Folgen rechnen. Dazu konnten der Ver- lust des Arbeitsplatzes, die Ablehnung für eine wei- terführende Schule, die Zwangsversteigerung von Eigentum, Überwachung, Verhöre, Bespitzelung und falsche Verdächtigungen gehören. Wurde ein solcher Antrag dann doch bewilligt, musste man das Land häufig innerhalb von 24 Stunden verlassen. Insgesamt reisten über 500 000 Menschen aus der DDR aus. (Krause, Marlene: Informationstext „Ausreise“. In: Geschichte lernen, Nr. 153/154, S. 71) M2 Die Fluchtgründe nach Befragungen von Flüchtlingen aus der DDR im Juli 1961: –– Ablehnung der Ideologie und von Parteiaufträgen –– Ablehnung des Schulsystems, Nichtzulassung zur Oberschule oder Hochschule –– Verpflichtung zum Spitzel gegen die Mitbürger –– Aufforderung zu „ gesellschaftspolitischer Betätigung“ –– Verpflichtung zum Eintritt in die Armee –– Widerstand gegen das Regime –– Verfolgung von Beziehungen zum Westen –– Verstöße gegen das Passgesetz –– Politische Häftlinge –– Verstaatlichung der Wirtschaft –– Kollektivierung der Landwirtschaft –– Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, Normenerhöhung –– Verstöße gegen Wirtschaftsgesetze –– Familienzusammenführung –– Wunsch nach besseren Einkommens- und Wohnungsverhältnissen (Presse- und Informationsamt des Landes Berlin (Hg.): Die Mauer und ihr Fall, 7. Aufl., 1996, S. 25) M3 Die spektakulärste Tunnelflucht fand im Jahr 1964 statt. 57 Menschen aus der DDR gelang es, durch den so genannten „Tunnel 57“ in den Westen zu flüchten. Einer war der damals 20-jährige Hans-Joachim Tille- mann. Er antwortete in einem Interview auf die Frage, warum er unbedingt flüchten wollte: Ich bin ja in Ostberlin aufgewachsen. Aber ich kann- te natürlich Westberlin, hatte Verwandte dort. Es war ja eine Stadt! Die S-Bahn fuhr, man konnte über die Grenze gehen. Vor 1961 war das ja alles sehr gemä- ßigt. Aber mit dem Mauerbau war dann Schluss. Da wurde einem bewusst: Moment mal, jetzt bist Du hier eingesperrt. Zudem fing man in der DDR an, das Ziel zu verwirklichen, den Sozialismus stärker aufzubau- 14 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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