Zeitbilder 5/6, Arbeitsheft

Kunst und Kultur 7 7.3 Volkskultur(en) | Längsschnitt 19. Jahrhundert – Gegenwart Volkskultur ist viel mehr als nur Volkstanz und Platteln: sie ist vielmehr die Kultur einer bestimmten Region, die sich aus der Tradition entwickelt hat (also vom Raum und den Zeitverhältnissen beeinflusst wurde) und in die auch neue gegenwärtige Elemente aufgenommen werden können. Dazu gehören die Trachten ebenso wie Singen, Musizieren und überlieferte Handwerks- und Handarbeitstechniken. Ob die Volkskultur vereinfachte Inhalte der Hochkultur beinhaltet (z. B. Elemente höfischer Tänze in Volkstänzen), oder ob sich die Hochkultur aus der Volks- kultur entwickelt hat (z. B. Volksliedmelodien in Opern oder Sinfonien), wird immer wieder diskutiert. Volkskultur ist jedenfalls sehr vielseitig und abwechslungsreich und für die Bevölkerung einer Region/ eines Landes identitäts- stiftend (= sie schafft ein „Wir-Gefühl“). M1 Erzherzog Johann (1782–1859) und seine spätere Frau Anna Plochl am Grundlsee. Aquarell von Matthäus Loder um 1824/25. ** © akg-images / Imagno /Matthëus Loder M2 Gemälde: Maria Theresia und ihre Familie Zeitbilder 6 S. 161 Zeitbilder 5 / 6 S. 257 M3 Der Volkskundler Victor Geramb beginnt das steirische Trachtenbuch mit einer Darstellung urzeitlicher Beklei- dungsformen: Die Darstellung beginnt mit der Untersuchung der ersten Hauptart von Bekleidungsformen, mit der Aufzeigung des urtrachtlichen Gutes in der Steier- mark. Als urtrachtliches Gut bezeichne ich (…) jene Bekleidungsstoffe und Gewandformen, die ihrem ganzen Wesen nach „primitiv“ und ihrer Entwick- lungsstufe nach „urzeitlich“ sind. Sie entsprechen völlig dem, was man in der Volkskunde (…) „primiti- ves Kulturgut“ nennt. Sie haben ihr Dasein nicht der individuell gestalteten Persönlichkeit des einzelnen, sondern den Urbedürfnissen der volkhaften boden- gebundenen Gemeinschaft zu verdanken. Bei uns zulande sind es wohl seit Jahrtausenden Hirten und Bauern gewesen, die sich aus ihren naturgegebenen Stoffen, wie Holz, Rinde, Grashalme, Pflanzenfasern, Felle, Häute und Wolle ihre primitiven Gewandfor- men, wie Holzschuhe, Grasmäntel, Wickelgewänder, Überwürfe, Umhänge, Kopf- und Körperhüllen usw. bereiteten. (Mautner, Konrad u. Geramb, Victor: Steirisches Trachtenbuch, Bd. 1: Von der Urzeit bis zur französischen Revolution. Graz 1932, S. 14) M4 Im Tanzbuch „Steirisch umidraht“ wird eine Tanzfigur des „Leobner Steirischen“, das „Fensterl“, beschrieben. Das ist eine der 12 Figuren dieses anspruchsvollen Figurentanzes, der um 1900 in Leoben gerne getanzt wurde. Grundstellung: Der Tänzer streckt seine rechte Hand und fasst über dem gestreckten linken Arm der Tän- zerin ihre rechte Hand. Der linke Ellbogen des Tän- zers und der rechte Ellbogen der Tänzerin werden abgewinkelt nach unten gerichtet. Die gefassten Hände werden zusammengehalten und hochgeho- ben. Die Tänzerin macht darunter eineinviertel Linksdrehungen und der Tänzer eine Vierteldrehung nach rechts. Die linken Oberarme werden waage- recht aneinander gelehnt, die gefassten rechten Hände gesenkt und auf die linken Oberarme gelegt (rechte Ellbogen senken). Die hochgestellten linken Oberarme mit abgebogenem Handgelenk bilden das „Fensterl links“. (Enzinger, Johann u. a.: Steirisch umidraht: Steirische Grundtänze und Figurentänze, Landestrachtenverband Steiermark. Leoben 2010, S. 99) M5 „Juppen“ nennt man die historische Bregenzerwälder Frauentracht, deren charakteristische Form und Mach- art auf das 17. und 18. Jh. sowie auf ein spanisches Vorbild zurückgeht. Das müßte ein armes, recht unglückliches Menschen- kind sein, das am lieben heiligen Osterfeste gar nichts Funkelnagelneues anzuziehen und gleichsam einzuweihen hätte. Es sehen daher nicht nur ernste Bauern, denen ein trüber Tag die erste und reinste Frühlingsfreude verderben würde, schon früh am Morgen besorgt zum Himmel auf, sondern auch jun- ge, sonst sorglos lebende Mädchen, die denn doch ihren Festschmuck nicht gerne verderben möchten, beobachten ängstlich jedes Wölkchen droben am Himmel, und finden es heute fast so unangenehm, wie einen Schmutzfleck im neuen Festtagskleide. Schon in der wie gewichst glänzenden, engfaltigen Juppe prangend, holen sie endlich auch die allerwei- 62 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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