Zeitbilder 5/6, Arbeitsheft

Kunst und Kultur 7 7.2 Kunst und Zensur | Längsschnitt Antike – 19. Jahrhundert Zensur (lat. „censura“ = Beurteilung, Prüfung, Kritik) bedeutet einen Eingriff in künstlerische (Literatur, bildende Kunst, Filmschaffen) oder in journalistische oder politische Tätigkeit. Sie wird meistens mit der Behauptung ge- rechtfertigt, man müsse z. B. das Publikum, die Leserschaft oder die Bürgerinnen und Bürger vor Gefahren schüt- zen. Gegner und Gegnerinnen von Zensur meinen, es gehe dabei weniger um Schutz der anderen als vielmehr um die Erhaltung der eigenen Machtposition. Zensur gibt es bereits seit der Antike. Grundsätzlich kann man bei zensierenden Maßnahmen Vorzensur (also ein Eingreifen vor der Veröffentlichung) und Nachzensur (nach der Veröffentlichung) unterscheiden. Zensur gibt es auch noch in der Gegenwart, allerdings steht sie heute in Widerspruch zu den demokratischen Grundrechten, wie Meinungs- und Informationsfreiheit. M1 John Milton spricht sich 1644 in seiner „Rede an das britische Parlament“ gegen die Vorzensur durch den „Licensing Act“ aus. Dabei führt er zahlreiche histori- sche Beispiele an: Für die Freiheit ungehinderten Druckes (…) Ich bestreite es nicht, aber dies ist eine der vor- dringlichsten Aufgaben in Kirche und Staat, ein wachsames Auge darauf zu haben, wie Bücher sich verhalten, ebenso wie Menschen und sie daher eben- so abzustrafen, einzusperren und gegen sie juristisch ebenso streng vorzugegehen, wie gegen Verbrecher. Denn Bücher sind keine völlig leblosen Gegenstän- de, sondern sie enthalten Lebensenergie und sind daher genauso aktiv wie der, der sie verfasst hat. Ja, sie bewahren sogar wie in einem Gefäß die reinste Wirksamkeit und die tiefsten Gedanken dessen, der sie hervorgebracht hat. (…) Und doch, wenn man nicht vorsichtig ist, tötet man einen Menschen eben- so wie ein gutes Buch: Wer einen Menschen tötet, tötet ein vernunftbegabtes Wesen, Gottes Ebenbild. Aber der, der ein gutes Buch zerstört, tötet die Ver- nunft selbst und damit offensichtlich ein Abbild Got- tes. Viele Menschen führen ein mühsames Leben auf Erden, aber ein gutes Buch verkörpert die kostbare Lebenskraft des Menschen, der es geschaffen hat, unsterblich gemacht, um über sein Leben hinaus weiterzuleben. (…) In Athen, wo Bücher und Vernunft immer mehr gal- ten als im übrigen Griechenland, finde ich nur zwei Arten von Literatur, von denen die Beamten für not- wendig hielten, sich mit ihnen zu beschäftigen: Got- teslästerliche, atheistische oder verleumderische. Daher befahlen die Richter des Areopag die Bücher des Protagoras zu verbrennen und ihn selbst aus Athen zu verbannen, da er eine Diskussion entfacht hatte, indem er eingestand, dass er nicht wisse, ob es wirklich Götter gebe oder nicht. Und um Verleum- dungen entgegenzuwirken, beschloss man, über nie- mand sollte man sich namentlich lustig machen dür- fen, wie man es in der Alten Komödie machte (…) Anderen Sekten und Meinungen, auch wenn sie zu Ausschweifungen neigten, schenkte man keinerlei Beachtung. Daher lesen wir nirgends, dass entweder Epikur oder diese schrankenlose Philosophenschule von Kyrene oder was auch immer die Zyniker in ihrer Schamlosigkeit äußerten, jemals Gegenstand ge- richtlicher Untersuchungen gewesen wäre. Genauso wenig ist überliefert, dass die Schriften dieser Dich- ter der Älteren Komödie unterdrückt worden wären, obwohl es verboten war, diese aufzuführen. Und es ist allgemein bekannt, dass Platon seinem königli- chen Schüler Dionysius [= Tyrann von Syrakus; Anm. d. A.] empfahl, Aristophanes, den unzüch- tigsten von allen, zu lesen. (…) Man muss sich wundern, wie die andere führende Polis in Griechenland, Sparta, ohne schöne Künste und Literatur war, wenn man in Betracht zieht, dass ihr Gesetzgeber, Lykurg, so viel Wert auf das Lernen eleganter Dinge legte und so der erste war, der die verstreuten Werke Homers aus Ionien [= Kleinasien; Anm. d. A.] herausholte und den Dichter Thales von Kreta schickte, um die raue Sprache und Umgangs- weise der Spartaner mit seinen schönen Gedichten und Oden zu verfeinern, und versuchte, Gesetz und zivilisiertes Verhalten bei ihnen einzuführen (…) (Milton, John: Areopagitica: a speech to the parliament of England, for the liberty of unlicensed printing; with prefatory remarks, copious no- tes, and excursive illustrations by T. Holt White. (Erstmalige Publika- tion: London 1644) London 1819, S. 17–25; Übers. d. A.) M2 Michelangelo Buonarroti (1475–1564): „Die Kreuzi- gung des heiligen Petrus“. Fresko in der Cappella Paolina, Vatikan, 1546/50. Michelangelo stellte Petrus ursprünglich nackt dar. Der Vatikan ließ daraufhin die heikle Stelle mit einem Schamtuch übermalen. Bei einer Restauration Anfang des 21. Jh. beließ man das Tüchlein an Ort und Stelle. ** © Erich Lessing / akg-images / picturedesk.com 60 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags bv

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