Zeitbilder 5/6, Arbeitsheft

1 Re- und Dekonstruktion von Geschichte 1.1 Rekonstruktion von Geschichte am Beispiel Pompeji | Römische Antike Am 24. August 79 n.Chr. brach der Vesuv aus. Er zerstörte Pompeji, eine antike Stadt am Golf von Neapel, und begrub sie mit einer über 20m dicken Schicht aus Asche und Bimssteinen. Dabei soll es bis zu 5000 Todesopfer gegeben haben. Unser Wissen über Pompeji haben wir aus der „Geschichte“. Wie kommt diese zustande? Der Geschichtsunterricht bzw. die Geschichtswissenschaft beschäftigt sich v. a. mit den Überlieferungen aus der Vergangenheit. Das sind mündliche, schriftliche, gegenständliche und bildliche Quellen. Menschen stellen Fragen an diese Quellen und versuchen so das Vergangene zu erkennen, es wieder herzustellen – es zu rekonstruieren. „Geschichte“ wird also von Personen gemacht. Im Falle Pompejis kennen wir den Augenzeugenbericht eines 18-jährigen römischen Mannes (Plinius, der Jünge- re), der dieses Ereignis viele Jahre später als Schriftsteller festhielt. Es sind auch weitere schriftliche Quellen über diesen Vorfall überliefert. Seit dem 18. Jahrhundert beschäftigen sich Archäologinnen und Archäologen mit der zerstörten Stadt Pompeji. Sie versuchen mit Hilfe von Funden Aussehen und Geschichte der Stadt zu rekonstruieren. Manchmal können neue Funde oder Entdeckungen auch zu einer neuen Rekonstruktion, also Darstellung der Geschichte führen. So hat man beispielsweise in Pompeji Nüsse und Granatäpfel gefunden und stellt jetzt die Überlegung an, dass der Vesuvausbruch nicht im Sommer (wie Plinius schreibt), sondern im Herbst stattgefunden habe. M1 Plinius (61/62–113/115 n. Chr.) berichtet vom Vesuvausbruch des Jahres 79 n. Chr., bei dem sein On- kel, Flottenkommandant von Misenum, starb: Mein Onkel war in Misenum (…) am 24. August be- richtet ihm meine Mutter, dass eine Wolke von unge- wöhnlicher Größe und Art auftauche (…). Die Wolke, für die aus der Ferne Hinschauenden war nicht klar, aus welchem Berg – später hat man erkannt, dass es der Vesuv gewesen war – stieg auf. Am ehesten war sie in Form und Art einer Pinie ähnlich. Denn wie durch einen sehr langen Stamm in die Höhe geho- ben, verbreitete sie sich dann wie durch Zweige, ich glaube, weil sie durch einen neuen Ausbruch in die Höhe gebracht worden war und dann weil dieser nachließ, sich selbst überlassen oder durch ihr Ge- wicht heruntergedrückt sich nach allen Seiten hin auflöste. Manchmal war sie weiß, manchmal schmut- zig und fleckig, je nachdem, ob sie Erde oder Asche emporgetragen hatte. Der Onkel beschließt mit einem Schiff in die Bucht von Nea- pel nach Herculaneum einzufahren, um zu evakuieren und notiert, was er sieht: Schon fiel Asche auf die Schiffe, je näher sie heran- kamen, desto heißer und dichter, schon fielen auch Bimssteine und halbverbrannte und vom Feuer zer- brochene Steine, schon wurde das Meer plötzlich an manchen Stellen seicht, und die Küste war durch den Einsturz des Berges unzugänglich. Trotzdem fährt der Onkel zu seinem Freund nach Stabiae: Pomponianus war in Stabiae auf der anderen Seite der Bucht (…). Dort war die Gefahr, obwohl sie noch nicht ganz nahe war, dennoch offensichtlich (…). In- zwischen leuchteten vom Berg Vesuv an mehreren Stellen sehr hohe Flammen und Brände, deren heller Glanz durch die Finsternis der Nacht verstärkt wur- de. Mein Onkel sagte als Mittel gegen die Angst, dass verlassene Herdfeuer und durch die Angst der Bauern alleingelassene Häuser in ihrer Einsamkeit brannten. Dann ruht er sich in einem Zimmer aus: Aber der Hof, von dem aus man das Zimmer betrat, war von Asche und Bimssteinen schon so hoch ange- füllt, dass es unmöglich geworden wäre hinauszuge- hen, wenn man noch länger im Zimmer bliebe. Nach- dem man ihn geweckt hatte, kam der Onkel heraus (…). Gemeinsam beraten sie, ob man unter Dach bleiben oder sich draußen aufhalten solle. Denn durch die häufigen und starken Beben schwankte das Haus und schien, gleichsam aus seinem Funda- ment herausgehoben, hin und her zu schwanken. Unter freiem Himmel fürchtete man dagegen den Fall der wenn auch leichten und porösen Bimssteine. Dennoch entschied man sich (…) dafür. Sie binden auf die Köpfe gelegte Kissen mit Leinentüchern fest, das war ein Schutz gegen das Herabfallende. Schon war anderswo Tag, dort herrschte Nacht, schwärzer und dichter als alle Nächte (…) (C. Plinius Caecilius Secundus: Briefe, Buch VI, 16: Brief an C. Tacitus, 4–16; Originaltext online auf: http://www.thelatinlibrary.com/pliny. ep6.html (24. 9. 2014); Übers. d. A.) M2 Der Historiker Cassius Dio (163–229 n. Chr.) schildert den Ausbruch so: Viele große weit über die Menschenstatur hinausge- hende Menschengestalten, ungefähr wie die Gigan- ten dargestellt werden, erschienen bald auf dem Ber- ge, bald in der Gegend und in den Städten und wan- derten Tag und Nacht auf der Erde umher oder schwebten in der Luft. (…) und die Erde wurde plötz- lich erschüttert, so dass die ganze Fläche umher in wallender Bewegung zu sein und die Spitzen der Berge zu hüpfen schienen. Damit waren schreckliche Töne, teils unterirdische, dem Donner gleich, teils über der Erde, einem Gebrüll ähnlich, verbunden; das Meer brauste, der Himmel donnerte, und auf einmal fing es so fürchterlich zu krachen an, als ob die ganze Masse der Berge zusammenstürzte. Unge- heure Steine stiegen anfangs bis an den Rand des Schlundes empor und dann schreckliche Flammen und ganze Wolken von Rauch, so dass der ganze Himmel verdunkelt und die Sonne wie bei einer Son- 6 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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