Zeitbilder 5/6, Arbeitsheft

Moderne Staaten entstehen 4 4.3 Der industrialisierte Staat | 19. Jahrhundert In Industriestaaten werden die Gewinne – im Gegensatz zu Agrarstaaten – größtenteils durch industrielle Produk- tion erzielt. England war der erste Staat, den man als Industriestaat bezeichnen konnte: Dort setzte dieser Prozess schon im 18. Jh. ein. Die Erfindung der Dampfmaschine führte zur Entwicklung von Maschinen, die spinnen und weben konnten. Die „Industrielle Revolution“ veränderte die Gesellschaft: Maschinen erledigten die Arbeiten, die vorher von Menschen getan worden waren, so dass diese keine Arbeit mehr fanden und ihre Lebensgrundlage verloren. Manche Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter schlossen sich aus Protest den Ludditen (= Maschinenstür- mern) nach einem imaginären General „Ludd“ an und zerstörten Maschinen, die ihnen die Arbeit weggenommen hatten. Doch diese Proteste wurden niedergeschlagen. Auch in anderen Ländern führte die zunehmende Industrialisierung zu grundlegenden gesellschaftlichen Verän- derungen, denn viele Menschen strömten in die Städte, um in den Fabriken Arbeit zu finden. Alle diese Arbeite- rinnen und Arbeiter brauchten Wohnraum. M1 Das Lied „General Ludd‘s Triumph“ aus dem Jahr 1812 bezieht sich auf das Auftreten der Ludditen in Notting- hamshire: Chant no more your old rhymes about bold Robin Hood, His feats I but little admire I will sing the Achievements of General Ludd Now the Hero of Nottinghamshire Brave Ludd was to measures of violence unused Till his sufferings became so severe That at last to defend his own Interest he rous’d And for the great work did prepare (…) (O. V.: General Ludd‘s Triumph, 1812. Online auf: http:// ludditebicentenary.blogspot.co.at/2012/01/27th-january-1812-song- general-ludds.html (12. 9. 2014)) M2 Neo-Ludditen: Der Begriff Luddit wird bis heute für Menschen eingesetzt, die Angst vor neuer Technik oder Technologie haben. ** © Wilbur Dawbarn /Cartoonstock M3 Immer mehr Menschen kamen in der 2. Hälfte des 19. Jh. nach Wien und lebten unter unvorstellbaren Bedin- gungen. Eine verlässliche Quelle über die Wohnsitua- tion sind die Berichte der Kontrolleure der Bezirkskran- kenkassen. Die „Wiener Montags-Post” zitiert 1911 unter dem Titel: „Wiener Wohnungselend”: (…) Im Hause 2. Bezirk, Kleine Schiffgasse 32 sind alle Wohnungen in einem desolaten Zustande, insbesonders aber die Wohnungen Nr 11 und 12 sprechen geradezu Hohn allen sanitären Anforde- rungen. Diese beiden Wohnungen sind miteinander durch offene Türen verbunden und gehören einem Mieter. Sie bestehen zusammen aus fünf Zimmern und einer Küche. Alle Räume dienen als Schlafräume. Es befinden sich darinnen 38 Betten, diese werden aber von mehr als der doppelten Anzahl Personen benützt, da nicht nur je zwei Personen ein Bett teilen, sondern auch noch Kinder bei sich haben. Der freie Raum zwischen den Betten wird überdies noch von auf dem Boden gelagerten Schläfern benützt. Die Fenster sind mit allerlei Gebrauchsgegenständen derart verlegt, dass ein Öffnen der Fenster nicht möglich ist. Daher ist in der überaus unreinen Woh- nung eine entsetzliche Atmosphäre. Über einen klei- nen schmutzigen Gang kommt man zu einem offenen Abort, der sich in einem nicht zu beschreibenden Zu- stand befindet. (…) Im Hause 2. Bezirk, Floßgasse 18, kam unser Kontrol- lorgan in eine Wohnung, bestehend aus Zimmer, Ka- binett und Küche und einem kleinen Vorzimmer. Im Zimmer, das von normaler Größe ist, schlafen allnächtlich sieben Personen, bei schlechtem Wetter auch mehr, und zwar in einem Bette ein Ehepaar, in einem zweiten Bette zwei junge Mädchen, sonst Männer auf Strohsäcken. Im Kabinett schlafen drei, bei schlechtem Wetter fünf Personen. Die Wohnungs- inhaberin schläft in der Küche, in welcher gekocht und gewaschen wird und die auch noch als Aufbe- wahrungsort für allerlei schmutziges altes Zeug dient. Die Wohnung ist im höchsten Grade unrein; nebenan befindet sich ein offener, schmutziger Ab- ort. (…) (O. V.: Wiener Wohnungselend. In: Wiener Montags-Post, Nr. 974 vom 13. 11. 1911, S. 1) 40 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=