Zeitbilder 5/6, Arbeitsheft

Macht und Herrschaft 3 3.3 Herrschafts- und Staatskonzepte | Längsschnitt Antike – Absolutismus Seit der Antike haben sich Menschen darüber Gedanken gemacht, wie ein idealer Staat beschaffen sein könnte. Vielfach wurden diese Staatskonzepte als Beschreibung eines weit entfernten Staates verfasst: „Utopie“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet im Grunde nichts anderes als „(an) keinem Ort“. Diese Vorstellung eines idealen Landes im Nirgendwo hat die Fantasie vieler Menschen beflügelt, J.M. Barrie mit seinem „Neverland“, in dem Peter Pan lebt, genauso wie Michael Jackson mit seiner Ranch „Neverland“. Auch das Werk, das der englische Staatsmann und Humanist Thomas Morus im frühen 16. Jh. verfasst hat, heißt so. Er stellt sich sein ideales Staatswesen auf einer fernen Insel vor. Platon denkt sich im 5./4. Jh. v.Chr. einen vollkom- men gerechten Staat, in dem Philosophen herrschen. Dagegen tritt Tommaso Campanella um 1600 für eine absolu- te Herrschaft des Papstes und des Klerus (= Geistlichkeit) ein. M1 Platon (428/427–348/347 v. Chr.) teilt in seiner „Poli- teia“ die Bevölkerung des Staates in drei Gruppen ein: Das Volk, das die wirtschaftliche Basis des Staates garantiert und über Privateigentum verfügt, im Gegen- satz zu den Hütern und den regierenden Philosophen: Über die Gruppe der Hüter (Wächter) sagt er: Du also, fuhr ich fort, als Gesetzgeber wirst ihnen, wie du die Männer ausgewählt hast, so auch die Wei- ber auswählen und sie so gleichgeschaffen wie mög- lich übergeben, da sie aber nun Wohnungen und Mahlzeiten gemeinsam haben und keiner irgend et- was Derartiges abgesondert besitzt, so werden sie natürlich beisammen sein (...) Es müssen ja nach dem Zugegebenen die besten Männer den besten Weibern möglichst oft beiwoh- nen, und die schlechtesten Männer den schlechtes- ten Weibern möglichst selten, und die Kinder der ei- nen muss man aufziehen, die der andern aber nicht, wenn die Herde möglichst vorzüglich sein soll, und alles dies muss geschehen, ohne dass es jemand au- ßer den Regierenden selbst bemerkt, wenn anderer- seits die Herde der Wächter möglichst frei von inne- rem Zwist sein soll. (…) Die Zahl der Vermählungen aber werden wir die Re- gierenden bestimmen lassen, damit sie möglichst die gleiche Zahl von Männern erhalten, indem sie auf Kriege und Krankheiten und alles Derartige Rück- sicht nehmen, so dass uns der Staat womöglich we- der zu groß noch zu klein werde. (…) Auch für die Nahrung dann werden diese Sorge tra- gen, indem sie die Mütter in jene Wohnung bringen, wenn sie volle Brüste haben, aber jede Vorkehrung treffen, dass keine ihr Kind zu sehen bekommt, und wenn diese nicht zureichen, so werden sie andere Weiber, die Milch haben, herbeischaffen; und bei diesen selbst werden sie dafür sorgen, dass sie eine gehörige Zeit säugen, das Nachtwachen aber und die andern Mühseligkeiten werden sie den Ammen und Wärterinnen zuweisen? (Platon, Politeia 5, 458 f., übers. v. Friedrich Ernst Daniel Schleier- macher, online auf: http://www.opera-platonis.de/Politeia5.html (21. 7. 2014)) M2 Auf der Insel Utopia des Thomas Morus (1478–1535) regelt man die Frage der Bevölkerungszahl so: Weil also der Staat aus Familien besteht, bilden größ- tenteils Verwandtschaftsverhältnisse diese Familien. Denn sobald die Frauen herangewachsen und mit Männern verheiratet worden sind, gehen sie in deren Wohnungen. Aber die Söhne und dann die Enkel bleiben in der Familie und gehorchen dem Ältesten der Väter, außer er wäre aufgrund seines Alters nicht mehr zurechnungsfähig. In diesem Fall ersetzt ihn dann der Zweitälteste. Damit aber nicht eine Stadt entweder zu wenig bevölkert ist oder über die Maßen anwächst, achtet man darauf, dass keine Familie, von denen eine jede Stadt (…) 6000 umfasst, weniger als 10 oder mehr als 16 Erwachsene hat. Denn die Zahl der Kinder kann keiner vorschreiben. Hier geht man ohne Probleme so vor, dass die, die in zu großen Fa- milien heranwachsen, in Familien mit weniger Mit- gliedern überschrieben werden. Aber sollte irgend- wann eine ganze Stadtbevölkerung zu stark anwach- sen, dann gleichen sie damit die zu geringe Bevölke- rungszahl ihrer anderen Städte aus. Sollte irgend- wann zufällig die Bevölkerungszahl der gesamten Insel (Utopia) zu stark ansteigen, dann schicken sie aus einer beliebigen Stadt, nachdem sie Bürger be- stimmt haben, diese auf den benachbarten Konti- nent, irgendwohin, wo die Ureinwohner zu viel Land haben und dieses nicht bebauen können, nachdem sie diese gefragt haben, ob sie mit ihnen zusammen- leben wollen. (Morus, Thomas: Utopia. 2. Buch: Der Verkehr der Utopier miteinander. Erstausgabe 1516; Originaltext online auf: http://www.thelatinlibrary . com/more.html (23. 7. 2014); Übers. d. A.) M3 Die Bevölkerung von Utopia legte keinen Wert auf Privateigentum: Jedes Haus hat einen Vordereingang auf die Straße und einen hinteren in den Garten. Die Türen sind zweiflügelig und mit einem leichten Druck der Hand zu öffnen und schließen sich dann von selbst wieder, sie lassen jeden beliebigen herein: so gibt es nir- gendwo etwas Privates. Denn sie tauschen die Häu- ser selbst alle 10 Jahre, es wird gelost. (Morus, Thomas: Utopia: 2. Buch: Die Städte, namentlich Amaurotum. Erstausgabe 1516; Originaltext online auf: http://www.thelatinlibrary.com/more.html (23. 7. 2014); Übers. d. A.) 30 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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