Zeitbilder 5/6, Arbeitsheft

Macht und Herrschaft 3 3.2 Herrschaftsinszenierung | Absolutismus Der französische König Ludwig XIV. (1643/1661–1715) war Vorbild vieler absolutistisch Herrschenden in Europa. Er inszenierte sich und seine Herrschaft, indem er beispielsweise Porträts von sich in Auftrag gab, auf denen er seine Auffassung von Herrschaft zeigte. Ludwigs Selbstverständnis zeigte sich aber auch in aufwändigen Festen, in Architektur und Ritualen (wie z. B. im öffentlichen Aufstehen, dem „Lever“). Durch das Schloss Versailles wollte er seine Herrschaftsauffassung im wahrsten Sinne des Wortes für die Menschen (= seine Untertanen, seinen Hofstaat) erlebbar machen. Er machte aus dem kleinen Jagdschloss seines Vaters einen der größten Paläste Europas mit einem riesigen Park. Hofzeremo- niell und Etikette (= gesellschaftliche Regeln des Benehmens) demonstrierten seine Macht anschaulich. M1 Ein Detail aus dem 1794 zerstörten „Königsgitter“ in Versailles, das 2007/08 rekonstruiert wurde. M2 Lebensgroßes Galaporträt Ludwigs XIV. von Hyacinthe Rigaud, 1701. Zeitbilder 6 S. 50 Zeitbilder 5 / 6 S. 150 M3 Die Etikette: Das Lever des Königs Gewöhnlich um 8 Uhr, jedenfalls zu der Zeit, die er selbst bestimmt hat, wird der König morgens ge- weckt, und zwar von dem ersten Kammerdiener, der zu Füßen des königlichen Bettes schläft. Die Türen werden den Kammerpagen geöffnet. Einer von ihnen hat inzwischen bereits den Großkämmerer und den ersten Kammerherrn benachrichtigt, ein zweiter die Hofküche wegen des Frühstücks, ein dritter stellt sich an der Tür auf und lässt nur die Herren eintre- ten, die das Vorrecht des Eintritts haben. Dieses Vorrecht war ganz genau abgestuft. Es gab sechs verschiedene Gruppen von Menschen, die nacheinander eintreten durften. Man sprach dabei von den verschiedenen „Entrées“. Zuerst kam die „Entrée familière“. An ihr hatten vor allem Teil die legitimen Söhne und Enkel des Königs (…), Prinzen und Prinzessinnen (…), der erste Arzt, der erste Chi- rurg, der erste Kammerdiener und Kammerpage. Dann kam die „grand entrée“, bestehend aus (…) dem Adel vorbehaltenen käuflichen Hofämtern und den Herren von Adel, denen der König diese Ehre zuerkannt hatte. Es folgte die „première entrée“ für die Vorleser des Königs, den Intendanten der Ver- gnügungen und Festlichkeiten und andere. Darauf folgte als vierte die „entrée de la chambre“, die alle übrigen „officiers de la chambre“ umfaßte, außer- dem (…) die Minister und Staatssekretäre (…), die Offiziere der Leibgarde, (…). Die Zulassung zu der fünften Entrée hing bis zu einem gewissen Grade von dem guten Willen des ersten Kammerherrn ab und natürlich von der Gunst des Königs. Zu dieser Entrée gehörten Herren und Damen von Adel, die in solcher Gunst standen, dass der Kammerherr sie ein- treten ließ; sie hatten so den Vorzug, sich dem König vor allen anderen zu nähern. Schließlich gab es noch eine sechste Art des Eintritts, und das war die ge- suchteste von allen. Man trat dabei nicht durch die Haupttür des Schlafzimmers ein, sondern durch eine Hintertür; diese Entrée stand den Söhnen des Kö- nigs, auch den illegitimen, samt ihren Familien und Schwiegersöhnen offen (…). Zu dieser Gruppe zu ge- hören, war Ausdruck einer hohen Gunst (…) und sie konnten im Zimmer bleiben, bis der König zur Messe ging und selbst, wenn er krank war. Man sieht, es war alles recht genau geregelt. Die ers- ten beiden Gruppen wurden zugelassen, wenn der König noch im Bett war. Dabei trug der König eine kleine Perücke; er zeigte sich niemals ohne Perücke, auch dann nicht, wenn er im Bett lag. Wenn er aufge- standen war und der Großkämmerer mit dem ersten Kammerherren ihm die Robe hingelegt hatten, rief man die folgende Gruppe, die „première entrée“. Wenn der König die Schuhe übergezogen hatte, (…) öffnete man die Türen der nächsten Entrée. Der Kö- nig nahm seine Robe. Der „maitre de la garderobe“ zog das Nachthemd beim rechten Ärmel, der erste Diener der Garderobe beim linken; das Taghemd wurde von dem Großkämmerer oder von einem der Söhne des Königs, der gerade anwesend war, herbei- gebracht. Der erste Kammerdiener hielt den rechten Ärmel, der erste Diener der Garderobe den linken. (Elias, Norbert: Die höfische Gesellschaft. 2. Aufl. Darmstadt: Luchter- hand 1975. S. 125–129) M4 Uhr und Figurenschmuck am Schloss Versailles: ** Das Foto (Ausschnitt) wurde im Juni 2008 vom Fotografen Marc Deville aufgenommen. © Marc Deville / akg-images / picturedesk.com ** © GERIG,UWE/ Action Press/ picturedesk.com 28 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des V rlags öbv

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