Treffpunkt Deutsch 4, Leseheft

strichen gepeitscht, mit Schnee bedeckt, so schreiben wir das alles der Atmosphäre zu, da wir mit Augen ihre Bewegungen und Verände- rungen gar wohl sehen und fassen. Die Gebir- ge hingegen liegen vor unserm äußeren Sinn in ihrer herkömmlichen Gestalt unbeweglich da. Wir halten sie für tot, weil sie erstarrt sind, wir glauben sie untätig, weil sie ruhen. Ich aber kann mich schon seit längerer Zeit nicht entbrechen, einer innern, stillen, geheimen Wirkung derselben die Veränderungen, die sich in der Atmosphäre zeigen, zum großen Teile zuzuschreiben. Ich glaube nämlich, daß die Masse der Erde überhaupt, und folglich auch besonders ihre hervorragenden Grund- festen, nicht eine beständige, immer gleiche Anziehungskraft ausüben, sondern daß diese Anziehungskraft sich in einem gewissen Pul- sieren äußert, so daß sie sich durch innere notwendige, vielleicht auch äußere zufällige Ursachen bald vermehrt, bald vermindert. Mögen alle anderen Versuche, diese Oszillati- on 2 darzustellen zu beschränkt und roh sein, die Atmosphäre ist zart und weit genug, um uns von jenen stillen Wirkungen zu unterrich- ten. Vermindert sich jene Anziehungskraft im geringsten, alsobald deutet uns die verringerte Schwere, die verminderte Elastizität der Luft diese Wirkung an. Die Atmosphäre kann die Feuchtigkeit, die in ihr chemisch und mecha- nisch verteilt war, nicht mehr tragen, Wolken senken sich, Regen stürzen nieder, und Regen- ströme ziehen nach dem Lande zu. Vermehrt aber das Gebirg seine Schwerkraft, so wird alsobald die Elastizität der Luft wieder herge- stellt, und es entspringen zwei wichtige Phäno- mene. Einmal versammeln die Berge ungeheu- re Wolkenmassen um sich her, halten sie fest und starr, wie zwei Gipfel über sich, bis sie, durch inneren Kampf elektrischer Kräfte be- stimmt, als Gewitter, Nebel und Regen nieder- gehen, sodann wirkt auf den Überrest die elas- tische Luft, welche nun wieder mehr Wasser zu fassen, aufzulösen und zu verarbeiten fähig ist. Ich sah das Aufzehren einer solchen Wolke ganz deutlich: sie hing um den steilsten Gipfel, das Abendrot beschien sie. Langsam, langsam sonderten ihre Enden sich ab, einige Flocken wurden weggezogen und in die Höhe geho- ben; diese verschwanden, und so verschwand die ganze Masse nach und nach […] 112 114 116 118 120 122 124 126 128 130 132 134 136 138 140 142 144 146 148 150 152 154 156 158 160 2 Zustandswechsel In dieser Kutsche reiste J.W.v. Goethe Bereite den Text nach den Vorgaben von Seite 6 f. auf. Beantworte dabei folgende Frage: Welche Stimmung wird in dem Aus- schnitt aus „Italienische Reise“ vermittelt? Schreibe in dein Heft! Vergleiche die in den Texten von Marco Polo und Johann Wolfgang von Goethe vermittelten Stimmungen. Schreibe Zitate als Belege dazu. Arbeite in dein Heft. Berichtet in der Gruppe über eigene Reiseerlebnisse. Auch Wanderungen in der näheren Umgebung oder Besuche na- her Stätten fallen darunter. Was erscheint euch berichtenswert? Begründet die Auswahl. 1  N C 2  N 3  C 23 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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