Treffpunkt Deutsch 4, Leseheft

Umgang mit Texten 20 Marco Polo Die Wunder der Welt Der venezianische Händler (ca. 1254–1324) unternahm eine zwanzigjährige Reise nach China, auf der er nach eigenen Angaben auch im Dienst von Kublai Khan stand. Sein nachträglicher Bericht war im Mittelalter das am weitesten verbreitete Buch nach der Bibel. Trotz vieler Ungereimtheiten und dem Fehlen jeglichen Beweises in chinesischen Quellen geht die Mehrheit der Forscherinnen und Forscher davon aus, dass die Reise tatsächlich stattgefunden hat. SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL […] Als ich zehn Meilen von der Hauptstadt hinwegkam, fand ich ein großes fließendes Wasser, das heißt Pulisangan, das in den gro- ßen Ozean sich ergießt, und es gehen viele Schiffe mit Massen von Waren auf diesem Wasser. Über diesen Fluss geht eine sehr hüb- sche steinerne Brücke, dergleichen vielleicht nicht in der Welt ist; sie ist dreihundert Schritt lang und acht breit, sodass zehn Mann neben- einander ganz bequem darüber reiten können. Sie ruht auf vierundzwanzig Bogen und fünf- undzwanzig Pfeilern, die im Wasser stehen, al- le von Serpentinstein und mit großer Kunst aufgeführt. Auf jeder Seite und von einem En- de zum anderen führt eine schöne Brustwehr, die aus Marmorplatten und Säulen gar meis- terlich gebildet ist. Wenn man die Brücke her- aufsteigt, so ist sie etwas weiter, als wo der Aufgang seine Höhe erreicht, aber von dieser aus laufen die Seiten in gerader gleichmäßiger Linie zueinander fort. Oben am Aufgang steht eine sehr große und hohe Säule, die auf einem Sockel von Marmor ruht, neben der die große Gestalt eines Löwen liegt. Auf der Säule liegt ein gleiches Gebild. Da, wo die Brücke sich ab- neigt, steht eine andere schöne Säule mit ih- rem Löwen, einen und einen halben Schritt von der Ersteren entfernt, und die Räume zwi- schen einer Säule und der anderen, die ganze Länge der Brücke, sind mit Marmortafeln ge- füllt, die mit künstlichen Bildwerken verziert und jedes Mal in die nächsten Säulen, die über die ganze Brücke gehen, eingefügt sind. Jede Säule steht einen und einen halben Schritt von der anderen und hat gleichfalls, wie die große, einen Löwen auf sich sitzen. Das zusammen bietet einen gar prächtigen Anblick dar. Diese Brustwehren dienen dazu, dass den darüber Gehenden kein Unglück widerfahre. Was ge- sagt worden ist, bezieht sich auf den Abstieg wie auf den Aufgang der Brücke. ACHTUNDZWANZIGSTES KAPITEL Wenn man über diese Brücke kommt und dreißig Meilen gegen West oder Niedergang zeugt, kommt man durch ein Land, das reich ist an schönen Gebäuden, Weinbergen und wohl bebauten und fruchtbaren Ackerfeldern, zu einer schönen und bedeutenden Stadt, die Giogiu heißt, wo die Götzendiener viele Klös- ter haben. Die Einwohner leben im Allgemei- nen von Handel und Gewerben. Sie haben Manufakturen von Gold- und Seidengeweben und der schönsten Art Schleierzeug. Die Her- bergen zur Aufnahme von Fremden sind sehr zahlreich. Eine Meile weit über diesen Platz hinaus teilt sich die Straße, der eine Weg geht gen Westen und der andere gen Südosten, Ers- terer durch die Provinz Kataia und Letzterer durch die Provinz Manji. Von der Stadt Giogiu reist man in zehn Tagen durch Kataia nach dem Königreiche Ta-in-fu, auf welcher Reise man an vielen schönen Städten und festen Plätzen vorüberkommt, in denen Handel und Gewerbe blühen und wo man viele Weingär- ten und wohl bebautes Land erblickt. Von hier werden Weintrauben in das Innere von Kataia gebracht, wo kein Wein wächst. Maulbeer- bäume sind im Überfluss da, deren Blätter die Einwohner instand setzten, große Massen von Seide zu produzieren. Ein hoher Grad von Bil- dung herrscht unter allen Leuten dieses Lan- des infolge ihres häufigen Verkehrs mit den Städten, die zahlreich und nicht weit vonein- ander entfernt sind. Nach diesen kommen be- 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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