Treffpunkt Deutsch 3, Leseheft

Umgang mit Texten Es lag ein höhnisches Lächeln auf dem aufge­ dunsenen Gesicht, das mich hätte wahnsinnig machen können. Eine schreckliche Lust kam über mich, die Welt von diesem Ungeheuer zu befreien. Eine tödliche Waffe war nicht zur Hand; so ergriff ich denn eine der Schaufeln, welche die Arbei- ter beim Füllen der Kisten benutzt hatten, und holte weit aus, um mit der abwärts gerichteten Schaufel in das verhasste Gesicht zu schlagen. Da drehte sich plötzlich der Kopf, und die Augen sahen mich voll an mit der ganzen Glut ihres Basiliskenblickes. Jähes Entsetzen lähmte mich bei diesem Anblick, die Schaufel zitterte in meinen Händen und fiel kraftlos nieder, riss aber eine klaffende Wunde in die Stirne des Lie- genden. Dann glitt sie mir aus der Hand, quer über die Kiste, und als ich sie da wegstieß, be- rührte sie den danebenstehenden Deckel, der umfiel und das hässliche Bild meinen Augen entrückte. Das Letzte, was ich sah, war das aufgedunsene blutunterlaufene Gesicht und das starre höhnische Lächeln, welches viel- leicht sogar bei den Teufeln der Hölle nicht seinesgleichen gefunden hätte. 160 162 164 166 168 170 Aus dem Film „Nosferatu“ von Friedrich Wilhelm Murnau (1922). 172 174 176 178 180 182 Vampire Ein Vampir (veraltet auch Vampyr) ist im Volksglauben und in der Mythologie eine blut- saugende Nachtgestalt. Dabei handelt es sich meist um einen wiederbelebten menschlichen Leichnam, der sich von menschlichem oder tie- rischem Blut ernährt und – je nach Kultur und Mythos – mit verschiedenen übernatürlichen Kräften ausgestattet ist. Die Entstehung eines modernen Mythos Man ist sich heute weitgehend darüber einig, dass die Vorstellung von Menschen, die in ih- rem Körper wieder zum Leben erwachen und den Lebenden Schaden zufügen, in Südosteuro- pa entstanden. sind. Archäologische Funde liefern Beweise dafür, dass Leichen mit Pfählen und Steinen daran gehindert werden sollten, zu Wiedergängern zu werden. Die Sagen um diese „Untoten“ kennen verschiedene Ausprägungen; der Typus „Vampir“, der sich von Blut ernährt, beginnt sich in der Romantik mit ihrer Vorliebe für das Unheimliche und Unergründbare zu entwickeln. Maria Theresia sandte ihren Leibarzt Gerard van Swieten (1700–1772) in verschiedene Län- der der Monarchie, um dortiges Auftreten des Vampirismus zu klären. Er selbst bezeichnete den Vampirmythos als „Barbarei der Unwissen- heit“ und kämpfte mit allen Mitteln dagegen. So führte er den ungewöhnlichen Zustand der Leichen, die zum Teil aus dem Mund tretendes Blut, füllige Leiber oder rosige Haut aufwiesen, 2 4 6 8 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 38 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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